Bezahlkarte für Asylbewerber? - Regierung sieht etliche Probleme, will Motion aber als Postulat prüfen
Mit einer Motion verlangen die Fraktionen FDP (Sprecher Adrian Schoop, Baden) und SVP die Einführung einer personalisierten Bezahlkarte statt Bargeld für Personen aus dem Asylbereich. Der Regierungsrat soll die gesetzlichen Grundlagen schaffen, um staatliche Unterstützungsleistungen für Personen aus dem Asylbereich (Asylsuchende im Verfahren, vorläufig aufgenommene Ausländer und Schutzbedürftige S) künftig über eine personalisierte Bezahlkarte auszuzahlen, so die beiden Fraktionen.
Sie begründen in der Ende März 2025 eingereichten Motion so: In den letzten Monaten seien in den Kantonen Bern, Basel-Landschaft, Luzern, Nidwalden, Schwyz, Zug und Zürich ähnliche politische Vorstösse von den Kantonsparlamenten überwiesen worden. Seit der Grosse Rat die Überweisung einer Motion zur Einführung einer Bezahlkarte im Kanton Aargau am 27. August 2024 äusserst knapp mit 69 zu 68 Stimmen ablehnte, laufe das Asylwesen weiter aus dem Ruder. In einem Interview Anfang 2025 führte Regierungsrat Jean-Pierre Gallati aus, dass die Zahlen eine Überlastung des Systems klar zeigen, so die Motionäre. .
Nun liegt die Antwort der Regierung vor. Sie lehnt die Motion ab, ist aber bereit, sie als Postulat zur Prüfung entgegenzunehmen.
Vorstösse in mehreren Kantonen hängig bzw. schon in Umsetzung
Auch in den Kantonen Basel-Landschaft, Luzern, Nidwalden, Zug und Zürich sowie beim Bund sind derzeit vergleichbare politische Vorstösse hängig, bestätigt der Regierungsrat in seiner Antwort. Einzelne Kantone wie zum Beispiel Bern, Schwyz und Tessin befinden sich in der Umsetzungsphase. Die Tatsache, dass sich mehrere Kantone mit dem Bezahlkartensystem beschäftigen, unterstreiche die nationale Relevanz des Themas und die Bedeutung eines koordinierten Vorgehens, schreibt sie weiter.
Wie steht es um das Missbrauchsrisiko?
Aus Sicht des Regierungsrats gibt die vorliegende Motion zu folgenden Überlegungen Anlass: Im Kanton Aargau erhalten Asylsuchende, vorläufig aufgenommene Ausländerinnen und Ausländer sowie Schutzbedürftige ohne Aufenthaltsbewilligung Fr. 10.– pro Tag für Verpflegung und Taschengeld. In den kantonalen Asylunterkünften erfolgt die Auszahlung dieses Pauschalbetrags in Form von Bargeld. Ausreisepflichtige erhalten Fr. 8.– Nothilfe pro Tag. Mit diesen Beträgen müssen die Personen aus dem Asylbereich nebst der Verpflegung auch alle privaten Auslagen abdecken.
Regierung glaubt nicht an wirksamen Beitrag durch Bezahlkarte
Dem Regierungsrat liegen weiterhin keine Zahlen vor, wie hoch die Geldüberweisungen von im Kanton Aargau lebenden sozialhilfebeziehenden Personen aus dem Asylbereich in ihr Heimatland sind. Wie der Regierungsrat in seiner Stellungnahme zu einer letztes Jahr im Grossen Rat mit einer Stimme Unterschied abgelehnten SVP-Motion ausführlich dargelegt hat, ist er der Auffassung, dass die meisten sozialhilfebeziehenden Personen aus dem Asylbereich keine grossen Beträge in ihr Herkunftsland senden können, sondern die Bargeldbeträge für die Bestreitung des Alltags benötigen und auch verwenden.
Er sei weiterhin der Ansicht, dass Personen im Asylbereich die Sozialhilfeleistungen weitgehend zweckentsprechend einsetzen. Entsprechend erkennt er auch in der vorliegenden Motion keinen wirksamen Beitrag zur Missbrauchsverhinderung durch die Einführung einer Bezahlkarte, schreibt er weiter. Diese Einschätzung stütze sich auch auf Erfahrungen aus anderen Kantonen: So hatte der Kanton Zürich bis ins Jahr 2011 ein Gutscheinsystem für Nothilfebeziehende eingeführt, das sich in der Praxis jedoch als aufwendig und wenig zweckmässig erwies.
Früheres Zürcher System konnte leicht umgangen werden
Das Gutscheinsystem konnte aufgrund vielfältiger Möglichkeiten zum Umtausch in Bargeld leicht umgangen werden, schreibt der Regierungsrat weiter. Ein ähnliches Risiko bestünde auch bei einer Bezahlkarte, weil eine Weiterveräusserung der damit erworbenen Waren zur Bargeldbeschaffung nicht verhindert werden könnte. Zudem könnte ein stark eingeschränkter Zugang zu Bargeld dazu führen, dass Leistungsbeziehende alternative – und unter anderem auch kriminelle – Wege zur Bargeldbeschaffung suchen, was aus Sicht der öffentlichen Ordnung und Verwaltung mit zusätzlichen Herausforderungen verbunden sein kann.
Potenzial und Verfügbarkeit eines Bezahlkartensystems
Die Einführung einer Bezahlkarte könne – je nach System und Ausgestaltung – dennoch Chancen bieten: Als digitales Zahlungsmittel könnte eine Bezahlkarte zur Modernisierung der Auszahlungsprozesse und zur digitalen Teilhabe der betroffenen Personen beitragen. Es stehen nationale Anbieter zur Verfügung, die Bezahlkartensysteme bereitstellen, die ohne Kontobindung funktionieren und schweizweit einsetzbar sind.
Diese Lösungen würden es erlauben, bestimmte Ausgaben, wie etwa Online-Einkäufe, den Erwerb von Gutscheinen, Glücksspiele, Finanzprodukte oder Auslandüberweisungen auszuschliessen und zugleich die – mit gewissen Einschränkungen und Voraussetzungen verbundene – Einsetzbarkeit im Alltag zu gewährleisten. Die diesbezüglichen rechtlichen Voraussetzungen sowie die entsprechende Umsetzung wären detailliert zu prüfen.
Kantonal einheitliches Bezahlkartensystem
Neben dem Kantonalen Sozialdienst des Departements Gesundheit und Soziales unterstützen auch die Gemeinden die ihnen zugewiesenen Personen aus dem Asylbereich (vor allem vorläufig aufgenommene Ausländerinnen und Ausländer sowie Schutzbedürftige Personen ohne Aufenthaltsbewilligung). Die Gemeinden richten die Unterstützungsleistungen derzeit in Bezug auf den Auszahlungsrhythmus oder die Auszahlungsart (Bargeld oder Banküberweisung) unterschiedlich aus. Wie der Regierungsrat in seiner Stellungnahme zur letzten August abgelehnten Motion ausgeführt hat, wäre vor dem Hintergrund des Ziels der Motion (keine Überweisungen von Sozialhilfegeldern in das Heimatland) ein kantonal einheitliches Bezahlkartensystem zu implementieren.
Entsprechend wäre ein Bezahlkartensystem sowohl für den Kantonalen Sozialdienst des Departements Gesundheit und Soziales wie auch für die Gemeinden einzuführen (oder zumindest zu prüfen). Dies würde bedeuten, dass der Kanton den Gemeinden Vorgaben machen und deren Autonomie einschränken würde, gibt die Regierung zu bedenken.
Bezahlkarte würde Bewegungsfreiheit einschränken
Der Regierungsrat hält weiterhin fest, dass die Einführung eines Bezahlkartensystems, das nur im Kanton Aargau eingesetzt werden könnte, weder praktikabel noch zweckmässig wäre. Ein solcher Alleingang hätte insbesondere für an Nachbarkantone angrenzende Gemeinden beziehungsweise Personen in deren Zuständigkeit "problematische Folgen, weil betroffene Personen gezwungen wären, ihre Einkäufe ausschliesslich im Kanton Aargau zu tätigen", wie es weiter heisst. Dies würde die Bewegungsfreiheit einschränken und rechtliche Fragen aufwerfen, etwa wenn sich Personen nicht mehr ausserkantonal mit alltäglichen Dingen wie Wasser oder Nahrung versorgen könnten.
Regierung: Karte müsste kantonsübergreifend einsetzbar sein
Auch Personen im Asylbereich, die ausserkantonal eine Ausbildung absolvieren oder einer bewilligten Erwerbstätigkeit in einem anderen Kanton nachgehen, wären betroffen. Könnten sie die Bezahlkarte nur im Wohnkanton nutzen, wären alltägliche Ausgaben wie Verpflegung oder Fahrkarten im Rahmen solcher Aktivitäten nicht möglich. Eine solche Einschränkung stünde zudem dem Ziel einer erfolgreichen Integration entgegen. Für diese Situationen müssten aufwendige Ausnahmeregelungen geschaffen werden. Der Regierungsrat erachtet es deshalb als wichtig, dass die Bezahlkarte kantonsübergreifend einsetzbar ist.
Nur so lasse sich die Bewegungsfreiheit sichern und die persönliche Selbstbestimmung der betroffenen Personen wahren. Ein isoliertes System im Kanton Aargau ohne Anbindung an überregionale Lösungen würde Grundrechte unverhältnismässig einschränken und liesse sich praktisch kaum realisieren, argumentiert der Regierungsrat weiter. Es wäre denkbar, dass sich die Personen aus dem Asylbereich weiterhin physisch in der Unterkunft melden müssten, bevor die Auszahlung auf die Bezahlkarte erfolgt. So würde auch mit einem Bezahlkartensystem eine regelmässige Kontrolle der Anwesenheit erfolgen können.
Datenschutzrechtliche Aspekte
Die Motion sieht vor, dass die Bezahlkarte bei nicht gemeldeten Adressänderungen oder versäumten Terminen automatisch gesperrt wird. Damit soll gemäss den Motionärinnen und Motionären ein Untertauchen in andere Kantone frühzeitig erkannt werden. Es wäre im Rahmen einer Postulatsbearbeitung zu prüfen, ob für eine solche Massnahme eine gesetzliche Grundlage besteht, beziehungsweise geschaffen werden kann und wie das Prinzip der Verhältnismässigkeit dabei eingehalten würde, heisst es in der Antwort weiter.
Karte brächte wohl grösseren Verwaltungsaufwand
Eine Verpflichtung zur Unterstützung per Bezahlkartensystem könnte – je nach Technologie und Ausgestaltung der Bezahlkarte – bei den ausführenden Verwaltungsstellen Mehraufwand generieren. Dieser Mehraufwand läge insbesondere in der Beschaffung und der Verwaltung (zum Beispiel Aufladen des Guthabens) einer solchen Bezahlkarte und hinge von den entsprechenden (zukünftigen) Angeboten der Bezahlkartenanbieter ab.
In Brockenstube weiterhin Bargeld nötig
Insbesondere für Gemeinden, die verhältnismässig wenige Personen aus dem Asylbereich unterstützen, könnte die Umsetzung des Bezahlkartensystems unverhältnismässig viel Aufwand mit sich bringen. Auch aus praktischer Sicht lasse sich das Bargeldsystem derzeit nicht vollständig ersetzen. Viele Ausgaben wie Einkäufe in Läden von gewissen Hilfswerken, in Brockenstuben, auf Flohmärkten oder das Taschengeld für Schulkinder erfordern weiterhin Bargeld. Die Betreuungspersonen müssten in solchen Fällen dennoch Bargeld auszahlen. Dadurch entstünde ein aus Sicht des Regierungsrats mit unverhältnismässigem Verwaltungsaufwand verbundenes Parallelsystem.
Jährlich wiederkehrende Kosten von einer halben Million Franken
Der Regierungsrat erachtet es daher als unerlässlich, dass den Kartenanwendern aus dem Asylbereich mit der Bezahlkarte ein begrenzter Bargeldbezug ermöglicht wird. Ausgehend von der aktuellen Anzahl unterstützter Einzelpersonen und Unterstützungseinheiten in kantonalen und kommunalen Strukturen und nach einer groben Schätzung entstehen mit der Einführung einer Bezahlkarte voraussichtlich einmalige Investitionskosten von rund Fr. 170'000.– sowie jährlich wiederkehrende Kosten von bis zu Fr. 500'000.– für den Kanton und die Gemeinden.
Asylbereich: 2024 wurde materielle Hilfe von knapp 40 Millionen Franken ausbezahlt
Diese grobe Schätzung basiert laut Regierungsantwort auf generellen Auskünften zweier Bezahlkartenanbieter zu deren Tarifsystemen und der im Jahr 2024 vom Kanton und den Gemeinden direkt an Personen aus dem Asylbereich ausbezahlten materiellen Hilfe von knapp 40 Millionen Franken. Sollte die Bezahlkarte nur für Personen in kantonalen Unterkünften zur Anwendung kommen, so würden sich die Kosten schätzungsweise etwas mehr als halbieren (Schätzung aufgrund der Dossieranzahl in den Gemeinden und in den kantonalen Strukturen: Investitionskosten von rund Fr. 65'000.– sowie jährlich wiederkehrende Kosten von Fr. 190'000.–).
Die Kosten würden stark von den Transaktionsmodalitäten abhängen und seien auch aus diesem Grund lediglich eine grobe Annahme. Würde die Bezahlkarte – wie in der Motion erwähnt – nur für Asylsuchende, vorläufig aufgenommene Ausländerinnen und Ausländer sowie Schutzbedürftige ohne Aufenthaltsbewilligung, nicht aber für ausreisepflichtige Personen Anwendung finden, so würden sich die Kosten entsprechend reduzieren. Hingegen würden die Kosten ansteigen, wenn die Bezahlkarte auch flächendeckend für Flüchtlinge in Asylstrukturen eingeführt würden. I
m Hinblick auf ein bargeldloses und entsprechend einheitliches und effizientes Auszahlungssystem wäre die Bezahlkarte aus Sicht des Regierungsrats für alle Personengruppen in den kantonalen und kommunalen Asylunterkünften einzuführen. Ein möglicher Minderaufwand ergäbe sich durch den Wegfall der bisherigen Gebühren für den Bargeldbezug, die sich auf rund Fr. 21'000.– pro Jahr belaufen. Zudem könnten digitalisierte Auszahlungsprozesse zu Vereinfachungen führen, etwa indem wöchentliche Bargeldabhebungen durch das Betreuungspersonal bei Banken entfallen.
Der Regierungsrat geht nach heutigem Wissensstand nicht davon aus, dass die Einführung einer Bezahlkarte den Verwaltungsaufwand für den Kanton und die Gemeinden insgesamt spürbar reduzieren würde. Eine abschliessende Einschätzung erfordere jedoch weitere Abklärungen.
Prüfbedarf
Angesichts des voraussichtlichen Nutzens, der Herausforderungen sowie der Kosten hält der Regierungsrat eine vertiefte Prüfung für angezeigt. Im Rahmen dieser Prüfung möchte der Regierungsrat die Erfahrungen anderer Kantone, die Entwicklungen auf Bundesebene5 sowie Erkenntnisse aus dem Ausland einbeziehen. Ziel der Prüfung wäre es, praxisnah zu klären, ob, und falls ja wie, ein solches Bezahlkartensystem auf Kantons- und gegebenenfalls auch Gemeindeebene umgesetzt werden könnte. Im Zentrum der vertieften Prüfung würden zudem die oben erwähnten rechtlichen Abklärungen stehen.
In Bezug auf die operative Tauglichkeit des Systems würde der Regierungsrat zudem prüfen, ob die von den Motionärinnen und Motionären genannte Zielgruppe auf Flüchtlinge in kantonalen Unterkünften sowie Ausreisepflichtige ausgeweitet werden sollte. Weiter würde der Regierungsrat prüfen, ob das Bezahlkartensystem auch für Personen, die in der Zuständigkeit der Gemeinden sind, angewendet werden sollte und ob der Kanton oder die Gemeinden für die entsprechenden Verwaltungskosten der Gemeinden aufzukommen hätten. Schliesslich wären die finanziellen Auswirkungen präziser abzuschätzen.
Bereit zur Prüfung als Postulat
Der Regierungsrat ist bereit, die Motion im Sinne dieser Erwägungen – und unter der Prämisse, dass Bargeldbezüge über die Bezahlkarten zulässig wären und die Karte überkantonal einsetzbar wäre – als Postulat entgegenzunehmen. Dabei wäre auch zu prüfen, ob die Umsetzung des Vorstosses eine Gesetzesänderung bräuchte und/oder anhand einer Änderung der Sozialhilfe- und Präventionsverordnung (SPV) umgesetzt werden könnte.