SVP und FDP setzen Motion "für mehr Demokratie bei der Einführung von Tempo-30-Zonen" gegen Regierung durch
Nun geht es im Grossen Rat um eine Motion von Tim Voser, FDP, Neuenhof (Sprecher) und Daniel Notter, SVP, Wettingen. Sie wollen den Regierungsrat beauftragen, dem Grossen Rat eine Anpassung der rechtlichen Grundlagen, insbesondere des Gesetzes über den Vollzug des Strassenverkehrsrechts, vorzulegen, wobei für die Einführung einer Tempo-30-Zone ein Beschluss der kommunalen Legislative notwendig wird und gegen diesen Beschluss das fakultative Referendum ergriffen werden kann.
Die beiden begründen das so: In verschiedenen Gemeinden wurden im letzten Jahr Tempo-30-Vorlagen von der Stimmbevölkerung deutlich abgelehnt. Darüber abstimmen konnte die betroffene Stimmbevölkerung jeweils nur, heisst es in der Motion, "weil es sich in diesen Fällen um Kreditanträge handelte, gegen die das Referendum erhoben werden konnte". Grundsätzlich liegt aber nach Art. 1 Abs. 1 des kantonalen Gesetzes über den Vollzug des Strassenverkehrsrechtes (SAR 991.100) die Kompetenz, Tempo-30-Zonen anzuordnen, allein beim Gemeinderat.
Allenfalls gar Referendum gegen das ganze Budget?
Wenn eine Tempo-30-Zone ohne Kreditantrag angeordnet wird, wird die Stimmbevölkerung auf den Rechtsweg verwiesen oder muss gar ein Referendum gegen das gesamte Budget ergreifen. Die Einführung einer Tempo-30-Zone betrifft meist eine Vielzahl von Bürgerinnen und Bürgern und gehöre zu den weitreichendsten verkehrspolitischen Entscheiden auf der kommunalen Ebene überhaupt, argumentieren die beiden Motionäre weiter.
Der Charakter der Tempo-30-Anordnungen weise aufgrund der hohen politischen Brisanz Ähnlichkeiten mit einem besonders wichtigen Erlass auf, der nach rechtsstaatlichen Prinzipien der Legislative vorgelegt werden müsste. Andere tiefgreifende kommunale Veränderungen, wie eine Revision der BNO müssen meist von den kommunalen Legislativen abgesegnet werden.
"Nicht nachvollziehbar"
Dass ausgerechnet eine Tempo-30-Zone ohne die Bevölkerung eingeführt werden kann, sei nicht nachvollziehbar und stosse auch in den Gemeinden auf Unverständnis. Immer wieder scheitern Versuche der Mitsprache an der aktuellen kantonalen Regelung. Es dränge sich daher eine verstärkte Mitsprachemöglichkeit der Stimmbevölkerung auf, finden die Motionäre.
Darum lehnt die Regierung die Motion ab
Der Legislative stehen im Bereich von Tempo-30-Zonen bereits gewisse Kompetenzen zu, wenn die Verkehrsanordnung mit baulichen Massnahmen verbunden ist, schreibt die Regierung in ihrer Antwort. In diesen Fällen könne die Gemeindeversammlung oder der Einwohnerrat über das Kreditrecht Einfluss nehmen. Für den Regierungsrat ist diese Differenzierung nach wie vor sinnvoll.
Ob die Akzeptanz in der Bevölkerung tatsächlich höher wäre, wenn generell die Legislative über Tempo-30-Zonen beschliessen könnte, sei fraglich. Sofern das neue Verkehrsregime einzig ein Quartier oder eine einzelne Strasse umfassen würde, könnte es durchaus sein, dass eine Mehrheit, die von der Anordnung kaum bis gar nicht tangiert ist, über eine Minderheit, die stark betroffen ist, entscheidet. Das könne zu unbefriedigenden Ergebnissen führen, argumentiert der Regierungsrat.
In diesen Fällen könne durch die Exekutive besser gewährleistet werden, dass die Interessen aller Betroffenen – unter Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsgrundlagen – gebührend berücksichtigt werden. Umgekehrt könne davon ausgegangen werden, dass eine flächendeckende Einführung von Tempo-30-Zonen in der Regel mit Kosten verbunden ist und damit die Legislative im Rahmen eines Budget- oder eines Verpflichtungskredits darüber zu befinden hat. Abschliessend heisst es in der Antwort: "Aufgrund dieser Überlegungen ist der Regierungsrat gegen die generelle Kompetenzübertragung für die Anordnung von Tempo-30-Zonen an die Legislative und lehnt die Motion ab."
Mitte-links lehnt den Vorstoss ab
Die Motion sei eine nicht sachgerechte Lösung für ein Scheinproblem, kritisiert Iva Marelli von der GLP. Der Vorstoss würde zu Überregulierung führen, warnt Robert Weishaupt (Die Mitte). Er staune, dass dieser Vorstoss ausgerechnet aus liberalen Kreisen kommt. Die Mitte werde mehrheitlich Nein stimmen. Christian Minder (EVP) findet, der Gemeinderat könne ganz gut abwägen, wie schnell man durch ein Quartier fahren darf. Die EVP lehnt den Vorstoss ebenfalls ab. Nein sagt namens der Grünen auch Maurus Kaufmann. Auch Gabi Lauper (SP) folgt ebenfalls der Argumentation des Regierungsrats, und lehnt den Vorstoss ab.
SVP unterstützt die Motion
Ganz anders tönt es namens der SVP bei Patrick von Niederhäusern. Die Motion fordere grundsätzlich mehr Demokratie: "Da kann man gar nicht dagegen sein." Nun kommt die knappe Mehrheit von SVP/FDP/EDU einmal mehr zum Tragen. Regierung: es geht um eine klassische Verwaltungstätigkeit
Landammann Dieter Egli sagt, er wisse, dass die Tempo-30-Diskussionen immer sehr emotional geführt werden. Er rede hier auch über den Rechtsstaat. Dazu gehören auch rechtsstaatliche Grundsätze, so Egli, ob das nun gefalle oder nicht. Es gehe hier um eine klassische Verwaltungstätigkeit. Da gebe es eine Begründungspflicht und eine Beschwerdemöglichkeit. Der Vorstoss brächte einen Systembruch zur Gewaltenteilung. mahnt Egli. Es sei da sinnvoller, wenn die Exekutive entscheide. Es gebe auch andere emotionale Themen wie den Mobilfunk. Die Regierung sieht keinen Grund für einen Systemwechsel.
Die beiden Fraktionen SVP/EDU und FDP plus einige Stimmen aus der Mitte beauftragen die Regierung nun mit 69 : 64 Stimmen gegen das Nein der knappen anderen Hälfte des Grossen Rates, die rechtlichen Grundlagen entsprechend anzupassen und dann dem Grossen Rat vorzulegen.