Rotkreuz-Geschäftsführerin Kiechle: "Gesichter der Not  haben sich gewaltig verändert"

Rotkreuz-Geschäftsführerin Kiechle: "Gesichter der Not  haben sich gewaltig verändert"
Geschäftsführerin Regula Kiechle im Gespräch. Foto: ZVG

Das Rote Kreuz Kanton Aargau meldet in seinem Geschäftsbericht 2023, dass der Rückgang der Spendeneinnahmen und Projektbeiträge sowie die tieferen Leistungs-Subventionen des Bundes neben dem gestiegenen Aufwand für die Dienstleistungen das Betriebsergebnis negativ belasten.

Vom Organisationskapital wurden 770 000 Franken aufgelöst. Dieses ist laut Geschäftsbericht mit 12 768 000 Franken jedoch nach wie vor gut ausgestattet "und gibt dem SRK Kanton Aargau eine solide  Basis zur Sicherstellung seiner Dienstleistungen. Gut die Hälfte dieser Mittel steckt im Haupthaus, wo die Mehrheit der Belegschaft arbeitet.»

Der Fahrdienst ist die bekannteste Dienstleistung des SRK Kanton Aargau. Freiwillige begleiten Menschen jährlich auf zahllosen Fahrten zu ihren medizinischen Terminen. Foto: ZVG

Wieso waren die Spenden rückläufig, ist dies auf die Querelen im Jahr 2022 beim nationalen Dachverband Schweizerisches Roten Kreuz zurückzuführen? Geschäftsführerin Regula Kiechle differenziert gegenüber aargauerpolitik.ch: "Das Spendenjahr 2022 war aufgrund des Ukraine-Krieges ein ausserordentlich gutes Spendenjahr. Die Solidarität war sehr gross.  Daher war mit einem Rückgang im Jahr 2023 zu rechnen. Wobei die "Spontanspenden und diverse Beiträge" letztes Jahr sogar von 101 000 auf 121 000 Franken gestiegen sind. Hingegen bekamen wir mit 221 000 Franken (Vorjahr 314 000) deutlich weniger Legate. Dazu gehören Erbschaften, diese schwanken natürlicherweise stark."

Querelen in Bern: "Bei einem Hilfswerk verträgt es nichts"

Im Blick zurück gingen 2019 und dann auch 2020 trotz Corona-Lockdown viele Spenden ein. Dann folgten aber mehrere schlimme Ereignisse im Ausland wie das schreckliche Erdbeben 2023 in der Türkei, sagt Kiechle. Da flossen viele Gelder dorthin. Also spürte man keine Folgen der Berner Querelen? Was in Bern passiert ist - zum Glück sei es dabei nie um Geld gegangen -  bedaure sie sehr, bei einem Hilfswerk vertrage es drum nichts, betont Kiechle.

So spürte man diese Querelen bei den Mitgliederzahlen schon, wenn auch in kleiner Zahl, antwortet die Geschäftsführerin. Es habe Austritte unter Verweis darauf gegeben: "Dabei ist das Rote Kreuz Kanton Aargau ein eigenständiger Verein. Ich hoffe denn auch, dass viele Ausgetretene später zu uns zurückkommen."

Leicht weniger Mitgliederbeiträge

Die Mitgliederbeiträge sind mit Riesenabstand (3,24 Millionen Franken, im Jahr davor 3,3 Millionen Franken) der grösste Ertrag bei der Mittelbeschaffung des Roten Kreuzes Kanton Aargau: "Auf diese Beiträge sind wir sehr angewiesen, denn unsere Tätigkeitsfelder werden grösser, da sich die Gesichter der Not gewaltig verändert haben und versteckter sind. Da sind wir erst recht froh um unsere hochgeschätzten Mitglieder. Sie geben uns auch starken emotionalen Rückhalt", so Kiechle. Der Verein zählte 2023 mit 51 000 trotz einiger Austritte sogar leicht mehr Mitglieder als im Vorjahr (50 771).

Das SRK Kanton Aargau darf auf den Rückhalt von 960 Freiwilligen zählen wie z. B. im Besuchs- und Begleitdienst. Foto: ZVG

Unbürokratische Lebenshilfe, "2 x Weihnachten" und mehr

Doch auch die Leistungen haben sich massiv verändert. Vor Jahrzehnten verteilte man beispielsweise noch Matratzen an Bedürftige, oder gab Suppe aus. Letztes Jahr hat das Aargauer Rote Kreuz neben der praktischen Hilfe (dazu gehören heute sogar Nachhilfestunden, um Kindern armer Familien eine bessere Startchancen ins Leben zu geben) durch die Aktion «2× Weihnachten» und der Abgabe von Einkaufsgutscheinen für Menschen in Not in allen Dienstleistungen unbürokratische Lebens-Hilfe und «Hilfe zur Selbsthilfe» geleistet.

Rotkreuz-Notruf, regelmässige Patienten-Fahrten zur Dialyse

Zu den Angeboten gehört etwa der Fahrdienst (Freiwillige fahren beispielsweise Patienten regelmässig zur Dialyse ins Spital), ein Entlastungsdienst für betreuende Angehörige, der Rotkreuz-Notruf,  Informationsanlässe und Beratungen zur Patientenverfügung, eine Tagesstätte für Demenzkranke in Frick, das Jugend-Rotkreuz. Dazu kommt das Tageszentrum in Aarau. Es bietet beeinträchtigten Menschen eine begleitete Tagesstruktur.

Aus erbrachten Dienstleistungen resultieren auch Einnahmen: Letztes Jahr waren es 5,36 Millionen Franken (im Jahr davor 5,316 Mio.). Doch die Ausgaben sind aus den oben erwähnten Gründen stärker gestiegen. Der Verein macht zudem geltend, dass 85 (im Vorjahr 82) Rappen eines jeden Spendenfrankens direkt Bedürftigen zugutekommen und alle Mittel lückenlos nur im Aargau eingesetzt werden.

169 536 Stunden Arbeit von Freiwilligen erbracht

Stolz ist Geschäftsführerin Regula Kiechle auch auf die Leistung der Freiwilligen: "Dank den 960 Rotkreuz-Freiwilligen und den sehr motivierten Mitarbeitenden konnten wir Tausenden von Klientinnen und Kunden Unterstützung bieten." Die Freiwilligen erbrachten 169 536 Stunden Freiwilligenarbeit für das Rote Kreuz Kanton Aargau. Ein Satz eines verwitweten und sehr engagierten Rotkreuzfahrers hat sie besonders berührt. Er sagte, so Kiechle: "Das Aargauer Rote Kreuz ist meine Familie."

Trotz einem Minus steht der Verein aber mit 12,7 Millionen Franken Reserve gut da?, fragen wir weiter. Regula Kiechle blickt ernst: "Wir brauchen diese Reserve. Wir erbringen sehr viele Dienstleistungen und haben 130 Mitarbeitende bzw. 54 Vollzeitstellen. Das SRK Kanton Aargau braucht einen soliden Deckungsgrad, um jederzeit seinen vielfältigen Verpflichtungen nachkommen zu können. Die Reserve lässt auch Spielraum, um auf neue Bedürfnisse in der Gesellschaft mit neuen Hilfsangeboten zu reagieren. Der Verein muss allzeit für ein Grossereignis gewappnet sein."

Defizit bei Fahrdienst und Entlastungsdienst

Das Rote Kreuz Kanton Aargau entlaste die öffentliche Hand sehr, betont Kiechle. Sie hofft denn auch auf Unterstützung aus der Politik. "Unsere eigenen Kapazitäten für Betreuungsarbeit reichen langfristig nicht. Bei unseren Bildungsangeboten und dem Rotkreuz-Notruf schreiben wir bescheidenen Gewinn. Beim Fahrdienst, dem Entlastungsdienst schreiben wir Defizite, wir lindern aber gerade dort viele Notsituationen», gibt sie zu bedenken.

Ihr Fazit: «Die Entlastung der Gesellschaft hat ihren Preis. So kostengünstig und qualitativ hochwertig wie das SRK macht es niemand. Nun wird sich zeigen, ob das SRK zukünftig vernünftige Leistungsaufträge erhält. Der Leistungsausweis überzeugt.»