öV für Kinder und Jugendliche gratis? - Maximalvariante würde Aargau 130 Mio./Jahr kosten - Regierung hält nichts davon

öV für Kinder und Jugendliche gratis? - Maximalvariante würde Aargau 130 Mio./Jahr kosten - Regierung hält nichts davon
Der Interpellant Hanspeter Budmiger (GLP). Foto: Michael Küng

Hans-Peter Budmiger, GLP, Muri, hat im Juni im Grossen Rat eine Interpellation mit Fragen für einen kostenlosen ÖV für Kinder und Jugendliche im Kanton Aargau eingereicht. Der ÖV ist für viele Kinder und Jugendliche ein zentrales Mittel, um den Alltag zu bewältigen: Schulwege, Freizeitaktivitäten, Vereinsbesuche, Familienkontakte oder später auch der Arbeitsweg zur Lehre, schreibt Budmiger dazu. Gleichzeitig belasten ÖV-Kosten das Familienbudget – besonders in Haushalten mit mehreren Kindern und/oder einem knappen Budget.

Budmiger: Familienbudget entlasten

Während der ÖV für Kinder unter sechs Jahren heute bereits kostenlos ist, fallen ab dem Schulalter Ticketkosten an. Eine kantonale Regelung für einen kostenlosen ÖV für Kinder und Jugendliche von 6 bis 16 Jahren wäre ein direkter, spürbarer Beitrag zur Entlastung von Familien – unabhängig von Wohnort oder Einkommenssituation. Sie würde zudem die Selbstständigkeit der Kinder stärken, Elterntaxis reduzieren und ein klares Zeichen für eine nachhaltige Mobilitätsstrategie setzen, schreibt der Interpellant weiter. In anderen Kantonen laufen bereits erste Pilotprojekte oder politische Vorstösse. Es stelle sich daher auch für den Kanton Aargau die Frage, wie eine solche Lösung konkret ausgestaltet werden könnte – insbesondere hinsichtlich Umsetzung, Partnern und Kosten.

Kanton listet auf, was es für Kinder und Jugendliche im öV gibt

Nun liegt die - ablehnende - Antwort der Regierung vor. Für Kinder und Jugendliche gibt es spezielle Angebote: im Direkten Verkehr die Juniorkarte, die für Fr. 30.– pro Jahr unbeschränkte Fahrten in Begleitung eines Erwachsenen ermöglicht, das GA-Familia-Kind, als Zweitabonnement in der Familie für Fr. 710.– pro Jahr und das GA-Kind für Fr. 1'720.– pro Jahr. Zudem gibt es das GA-Night für Fr. 99.– pro Jahr, das aber wegen der auf den Abend beschränkten Gültigkeitsdauer (19.00 Uhr bis 05.00 Uhr) auf Jugendliche bis 25 Jahre zugeschnitten ist. Dies antwortet der Regierungsrat einleitend.

Für Einzelbillette gelten bis 16 Jahre die halben Preise. Im Abonnementsbereich haben die Verbünde separate Angebote, die in der Regel gemeinsam für Kinder und Jugendliche bis 25 Jahre gelten. Für Einzelfahrten gibt es die Kindertageskarte für Kinder ab dem 6. bis zum 16. Geburtstag für Fr. 19.– pro Tag. Die Schultageskarte für Kinder und Jugendliche bis 25 Jahre und Gruppen ab 10 Personen kostet Fr. 15.–.

Zur Frage "Wie könnte eine kantonale Regelung für kostenlosen ÖV für Kinder und Jugendliche (6–16 Jahre) technisch und vertraglich umgesetzt werden?" schreibt die Regierung, für einen kostenlosen öV für Kinder und Jugendliche bis 16 Jahren seien zwei Varianten vorstellbar: Variante A: Auf dem Gebiet des Kantons Aargau ist der öV für alle Kinder und Jugendliche bis 16 Jahre unabhängig vom Wohnort kostenlos. Variante A würde der Forderung gerecht, dass alle Kinder und Jugendlichen gleich zu behandeln wären. Die Lösung sei sehr komplex, weil auch den Durchreisenden keine Kosten verrechnet werden dürften. so die Regierung.

Kanton müsste die Tarifausfälle entschädigen

Es müsste ein schweizweites neues Tarifsystem für Kinder und Jugendliche (6–16 Jahre) auf Kantonsgebiet Aargau entwickelt werden, welches die Strecken und Zonen durch den Kanton Aargau kostenlos anbietet. Der Kanton Aargau müsste den Transportunternehmen und Verbünden die daraus entstandenen Tarifausfälle entschädigen. Eine Umsetzung eines solchen Vorschlags würde viele Fragen bezüglich Berechtigungen aufwerfen, wie zum Beispiel, ob auch Reisende profitieren, die Bern – Zürich direkt fahren, oder falls ein Aufenthalt im Kanton Aargau eine Bedingung wäre, wie lange dieser sein muss und wie dies kontrolliert werden kann, gibt der Regierungsrat weiter zu bedenken.

76300 Kinder und Jugendliche kömnnten profitieren

Variante B: Alle im Aargau wohnhaften Kinder und Jugendliche bis 16 Jahre profitieren vom kostenlosen öV. Bei Variante B wird die Vergünstigung zum Beispiel an den Wohnort gebunden. Dies entspricht einem Zurverfügungstellen eines Abos für den öV für Bewohnerinnen und Bewohner des Kantons Aargau unter 16 Jahren. Gemäss Statistik Aargau 2024, leben im Kanton rund 76'300 Einwohnerinnen und Einwohner zwischen 6 und 16 Jahren. Davon wohnen 11 % in den Bezirken Laufenburg und Rheinfelden, im Geltungsbereich des TNW. 89 % wohnen im Geltungsbereich der A-Welle. Die Umsetzung einer solchen Variante wäre einfacher, heisst es weiter.

Es gebe verschiedene Varianten für ein Gratis-Abonnement, die sich im räumlichen Geltungsbereich unterscheiden. Dies vor dem Hintergrund, dass sich Kinder und Jugendliche bis 16 Jahre in der Regel zumindest in jungen Jahren eher in einem näheren Umkreis bewegen:

I. Für Jugendliche bis 16 Jahre soll der gesamte öV in der Schweiz kostenlos sein. Dann brauchen die Kinder und Jugendliche ein Generalabonnement (GA) für den öV in der ganzen Schweiz (GA-Kind, regulärer Verkaufspreis Fr. 1'720 oder als GA-Familia-Kind Fr. 710)

II. Ein Verbundabonnement für die nähere Umgebung, zum Beispiel bei der A-Welle für die Zone, in der der Wohnort liegt für Fr. 603 oder die Zone, in der der Wohnort liegt plus die daran angrenzenden Zonen. Die grosszügige Version entspricht mindestens 5 Zonen und kostet Fr. 1'269. Für das Fricktal kostet ein U-Abo-Jugend Fr. 542.

III. Ein Verbundabonnement für bis ins Agglomerationszentrum: Da das U-Abo das ganze TNWGebiet umfasst, müsste in der A-Welle auch ein Abonnement bis ins Agglomerationszentrum Zürich angeboten werden (Z-Pass Jugend [Kinder/Jugend 6–25 Jahre] mit allen Zonen für Fr. 2'420). In diesem Fall wäre das GA-Kind günstiger.

Zu berücksichtigen ist, heisst es weiter, dass die Varianten II und III die Bedürfnisse der Jugendlichen im südlichen Kantonsteil und im westlichen Mittelland weniger gut abdecken, da dort eine Orientierung Richtung Zug/Luzern beziehungsweise Bern/Solothurn vorhanden ist. Eine Regelung müsste mit den Verbünden und je nach räumlicher Ausdehnung mit Alliance SwissPass (GA-Lösung) gefunden werden. Es stelle sich also primär die Frage der räumlichen Ausdehnung und der Höhe des Ertragsausfalls.

"Mit wie vielen Verkehrsverbünden oder Organisationen müsste der Kanton voraussichtlich verhandeln, um eine einheitliche kantonale Lösung zu erreichen?", fragte Hanspeter Budmiger weiter. Die Verhandlungen müssten mindestens mit Alliance SwissPass zum Direkten Verkehr sowie mit der A-Welle und dem TNW geführt werden, antwortet die Regierung. Zudem müsste das Bundesamt für Verkehr in die Verhandlungen involviert werden, da je nach Lösung eine Verschiebung der Einnahmen von den Verbünden zum Direkten Verkehr erfolgen könnte und so trotz der subventionierten Jugendabonnementen, die Abgeltungen steigen könnten (Verschiebung der Erträge von Regional- zum Fernverkehr bei einer GA-Lösung).

"Welche Kosten müsste der Kanton übernehmen, und an welche Partner (z. B. A-Welle, SBB, Gemeinden) würden diese Zahlungen gehen?"

Der Kanton müsste sicher die Ertragsausfälle übernehmen. Um die Kosten abschätzen zu können, müssten Verhandlungen mit den Involvierten Partnern stattfinden. Die Maximalvariante wäre für jede Person zwischen 6 und 16 Jahren ein GA-Kind zu subventionieren. Dies entspricht einem Betrag von jährlich 130 Millionen Franken. Da die Nutzung im Durchschnitt aber nicht so hoch sein wird, wie bei Personen, die das GA-Kind kaufen, müsste mit Alliance SwissPass ein Vorzugspreis ausgehandelt werden. Der Kanton Basel-Stadt hat bei seinen Erwägungen zum Gratis-öV bis 25 Jahren, mit Entschädigungskosten von über Fr. 400.– pro Person und der Kanton Genf mit über Fr. 300.– pro Person gerechnet, dies auf Basis eines Verbundabos. Gebietsmässig würde dies dem kleinsten Bewegungsradius der Varianten unter Frage 1 entsprechen.

Werden die Annahmen von Basel und Genf auf den Kanton Aargau hochgerechnet, würde dies pro Jahr Entschädigungen von 23–30 Millionen Franken entsprechen. Da es sich bei den beiden Kantonen um Stadtkantone handelt, ist der Bewegungsradius der Kinder und Jugendlichen relativ klar einschränkbar. Die Gemeinden sind nicht mehr in die Finanzierung des bestellten konzessionierten Verkehrs involviert. Der Kanton müsste daher alle Kosten übernehmen. Je nach Lösung gemäss Antwort zur Frage 1 gehen die Entschädigungen an die Tarifverbünde (AWelle, TNW, Z-Pass) oder an den Direkten Verkehr. Die Erträge werden danach gemäss den gültigen Schlüsseln auf die Transportunternehmen aufgeteilt.

Zur Frage 4 "In welchem Verhältnis stünden diese Ausgaben zu denjenigen, die der Kanton heute bereits für den ÖV aufwendet?" Die jährlichen Ausgaben für die Abgeltungen des bestellten öV betragen zwischen 125 und 130 Millionen Franken. Die Ausgaben würden sich maximal verdoppeln oder um mindestens einen Viertel zunehmen.

Zur Frage "Welche heute bestehenden Kostenübernahmen (z. B. durch Gemeinden, Schulträger, Entschädigungsmodelle) würden durch eine zentrale kantonale Lösung entfallen?" Da die gesamten Kosten für den öV durch den Kanton bezahlt werden, werden die Gemeinden nicht entlastet.

So läuft es im Kanton Genf

Zur Frage "Gibt es Erfahrungen oder Erkenntnisse aus anderen Kantonen oder Städten, die für eine Umsetzung im Kanton Aargau relevant sein könnten?" Der Kanton Genf ermöglicht Gratis-öV für unter 25-Jährige, die in Ausbildung sind und ein bestimmtes Minimaleinkommen nicht überschreiten. Von Vergünstigungen profitieren auch Seniorinnen und Senioren. Die jährlichen Kosten werden mit 32 Millionen Franken veranschlagt.

Der Kanton Basel-Stadt verbilligt das U-Abo-Jugend auf Fr. 365.– (statt Fr. 542.–). Dies gilt bis zum vollendeten 25. Lebensjahr und das Steuerdomizil muss im Kanton Basel-Stadt liegen. Diese Variante ist als Gegenvorschlag zur Initiative Gratis-öV für Kinder und Jugendliche entstanden. Die beiden Fälle sind bezeichnenderweise Stadtkantone mit konzentrierten Verkehrswegen und einer klaren Zentrumsstruktur. 5 von 6 Im Jahr 2019 wurde im Nationalrat eine (19.3916) Motion eingereicht für die Gratisnutzung des öffentlichen Verkehrs für die Jugend. Der Bundesrat beantragte die Ablehnung. Die Motion ist in der Zwischenzeit abgeschrieben. Eine Übersicht über alle hängigen Eingaben bei den anderen Kantonen liegt dem Kanton Aargau nicht vor.

Zur Frage "Wäre aus Sicht des Regierungsrats auch ein gestuftes Vorgehen denkbar – z. B. mit einer Pilotregion oder beschränkt auf bestimmte Altersgruppen?" Im Sinne der Gleichbehandlung aller Einwohnerinnen und Einwohner im Kanton Aargau erachtet der Regierungsrat ein Verfahren in nur einer Region als problematisch. Es widerspricht auch der Gleichbehandlung gemäss Bundesgesetz über die Personenbeförderung (Personenbeförderungsgesetz, PBG; SR 745.1). Die Altersgruppen sind betreffend die Tarife in der Schweiz vereinheitlicht: Kinder von null bis sechs Jahren fahren gratis, Kinder ab 6–16 Jahren bezahlen den halben Preis bei den Einzelfahrausweisen und Jugendliche bis 25 Jahren profitieren von günstigeren Abonnementen. Eine zusätzliche Altersgruppe wäre schwierig zu begründen.

Zur Frage 8"Könnte bei einer Umsetzung anstatt des Alters beispielsweise der Abschluss des ersten Bildungswegs (z. B. obligatorische Schule, Lehre oder Matura) als Kriterium dienen? Wie würde sich ein solcher Ansatz auf die Kosten auswirken?" Grundsätzlich begrüsst der Regierungsrat, wenn Vergünstigungen den Bevölkerungsgruppen zugutekommen, die ein tiefes verfügbares Einkommen haben und nicht nach dem Giesskannensystem gewährt werden. Zusätzliche Bedingungen erfordern aber einen hohen administrativen Aufwand. Wenn Vergünstigungen an Bedingungen wie Abschluss der Ausbildung oder die Einkommenssituation geknüpft werden, müssen diese auch über die entsprechenden Verwaltungseinheiten abgewickelt werden. Sollen, wie im Interpellationstext erwähnt, gezielt Familien mit knappem Familienbudget unterstützt werden, sollte dies nicht über die allgemeinen öV-Tarife geregelt werden. Vielmehr wären hier Lösungen via Sozialämter oder Steuerabzüge vorzuziehen.