Grosser Rat: Mitte, SVP und EVP fordern Kantonsreferendum gegen Individualbesteuerung - Eltern-Vorausinfo zu Sexualkunde mit Externen? - Motion wird zurückgezogen

Grosser Rat: Mitte, SVP und EVP fordern Kantonsreferendum gegen Individualbesteuerung - Eltern-Vorausinfo zu Sexualkunde mit Externen? - Motion wird zurückgezogen
Das Grossratsgebäude in Aarau. Foto: MKU

Es ist 10.00 Uhr. Grossratspräsident Markus Gabriel läutet die Glocke, die Sitzung beginnt. Gabriel gibt eine Tenueerleichterung durch. Er empfiehlt, angesichts der hohen Temperatur auf Krawatte und Kittel zu verzichten.

Fraktionserklärung zur Individualbesteuerung

Als erstes kommt es zu einer Fraktionserklärung der Mitte. Es spricht Fraktionspräsident Alfons Paul Kaufmann. Die Mitte, SVP und EVP fordern ein Kantonsreferendum gegen die vom Eidgenössischen Parlament beschlossene Individualbesteuerung. Dies wäre ein fundamentaler Systemwechsel, so Kaufmann, welcher gesamtschweizerisch und für sämtliche Steuerhoheiten umzusetzen wäre. Der Vorschlag des Bundesparlaments führe aber zu einer weiteren Verkomplizierung des Steuersystems, zu neuen Ungleichbehandlungen und zu massiven Steuerausfällen.

Die Anzahl Steuerdossiers würde gesamtschweizerisch um rund 1,7 Millionen steigen, im Kanton Aargau wären es ca. 140'000 zusätzliche Dossiers. Bei der Umsetzung der Individualbesteuerung wären zudem massive Mindereinnahmen bei den Kantons- und Gemeindesteuern zu gewärtigen, so Kaufmann weiter. Der Heiratsstrafe könne man einfacher und rascher begegnen, etwa mit einem Splitting oder mit Tarifkorrekturen.

Ersatzwahlen für zwei Staatsanwaltschaften

Nun kommt es zu einer Ersatzwahl der Leitung Staatsanwaltschaft Brugg-Zurzach (1 Stelle) für den Rest der Amtsperiode 2023-2026. Wahlvorschlag des Regierungsrats im Einvernehmen mit dem Büro GR: - Mario Nicola Camelin Es wird eine stille Wahl gemäss § 62a Geschäftsordnung vorgeschlagen. Es $gibt keinen Widerspruch im Rat, Camelin ist somit gewählt.

Als nächstes steht die Ersatzwahl der Leitung Staatsanwaltschaft Muri-Bremgarten (1 Stelle) für den Rest der Amtsperiode 2023-2026 an. Wahlvorschlag des Regierungsrats im Einvernehmen mit dem Büro GR: - Rebecca Bänziger Weiterer Kandidat (vom Regierungsrat und vom Büro nicht zur Wahl vorgeschlagen): - Sandro Orefice. Es kommt zu einer Kampfwahl.

Gewählt ist Rebecca Bänziger.

Motion zum Sexualkunde-Unterricht

Nun wird eine Motion von Martin Bossert, EDU, Rothrist (Sprecher), Nicole Burger, SVP, Aarau, verhandelt. Dabei geht es um die Ankündigung von Unterrichtseinheiten mit Sexualkunde-Themen mit externen Organisationen in der Volksschule. Die Regierung lehnt den Vorstoss ab.

Die Lehrerinnen und Lehrer der Volksschule sollen verpflichtet werden, die Erziehungsberechtigten mit angemessener Vorlaufszeit zu informieren, wenn Unterrichtseinheiten zu Sexualkunde-Themen geplant sind, die von externen Organisationen durchgeführt oder begleitet werden, verlangt die Motion.

In den letzten Monaten wurden an der Volksschule im Kanton Aargau vermehrt im obligatorischen Unterricht Sexualkunde-Themen vermittelt, welche durch externe Organisationen durchgeführt wurden, begründen die Motionäre ihr Anliegen. Beispiele hierfür seien ein Theaterstück in Zofingen für Schülerinnen und Schüler im Zyklus 1 mit schwulen Bäckern, welche sich küssten und sich aufeinanderlegten, oder der Besuch von Vertretern der Organisation ABQ an den 8. Klassen der gesamten Oberstufe Suhr. In der Motion gehe es nicht um schwul oder queer, so Martin Bossert im Rat.

Nach der Begründung durch Martin Bossert spricht namens der EVP Uriel Seibert. Man erachte es als sinnvoll, dass die Schule regelmässig informiert. Es lohne sich, diese Angebote genauer anzuschauen, etwa über eine kantonale Qualitätskontrolle. Eine Mitbestimmung der Eltern über das Wie und Was des Unterrichts sei im Gesetz aber nicht vorgesehen. Dafür gebe es auch gute Gründe. Eine vorgängige Information der Eltern würde kaum zu einer Qualitätssteigerung führen, so Seibert.

Annetta Schuppisser (GP) sagt nun, die GLP lehne die Motion ab. Ihre Forderung bringe keinen inhaltlichen Mehrwert. Das führe zu Überregulierung. Eine faktenbasierte, professionelle Sexualaufklärung gehöre dazu.

Namens der FDP sagt Titus Meier, man könne nicht zustimmen. Bei Sexualkunde sei eine Info der Eltern wichtig über Ziele und Inhalt. Diese seien primär zuständig für die Sexualaufklärung ihrer Kinder.

Für die Grünen sagt Daniel Hölzle, man lehne den Vorstoss ab. Im Normalfall würden die Eltern mit Infos zu Externen informiert, das mache Sinn. Eine Verpflichtung schiesse aber übers Ziel hinaus, das lehne man ab.

Jürg Baur sagt nun, die Mitte lehne den Vorstoss ab. Sexualpädagogik gehöre zum aktuellen Lehrplan. Man solle nicht überreagieren. Eltern könnten sich auch bei Schulgesprächen informieren und austauschen, so Baur. Die Schule trage die Verantwortung für den Unterricht. Sie verdiene Vertrauen, nicht Misstrauen.

Schliesslich lehnt auch Mia Jenni den Vorstoss namens der SP ab. Sie sei an der am letzten Wochenende an der Pride Parade gewesen. Die Motion wäre ein erster Schritt zurück in die dunkle Welt der Scham für die Queeren, mahnt sie. Es sei wichtig, dass alle Kinder einen professionellen Sexualkundeunterricht bekommen. Es sei nichts falsch daran, homosexuell oder trans zu sein. Bei Schwulen sei die Selbstmordrate höher als bei anderen.

"Ganz sicher erzähle ich ihnen nicht, dass der Storch Kinder bringt"

Nun spricht Barbara Stocker als Hebamme. Sie staune nicht schlecht, dass einige Ratsmitglieder die Sexualkunde regelrecht zu triggern scheinen. Kinder seien am Thema sehr interessiert, gerade auch, wenn sie ein Geschwisterchen bekommen. Stocker: "Ganz sicher erzähle ich ihnen nicht, dass der Storch die Kinder bringt." Kinder und Jugendliche kämen immer früher via Internet mit Pornografie in Kontakt, mahnt sie. Nur aufgeklärte Kinder können sich im besten Fall gegen sexuelle Gewalt wehren, sagt sie. Sie lehnt den Vorstoss ab.

Als letzte spricht Motionärin Nicole Burger (SVP). Sie berichtet vom Unterricht einer externen Person für 11-jährige, wo das Lernziel gewesen sei, hetero-, bi-, homosexuell, nonbinär zu unterscheiden. Es gehe nicht an, Kinder zu sexuellen Wesen zu erklären, Zehnjährigen polyamore Beziehungen zu erklären. Es gehe nicht darum, in eine dunkle Welt zurückzukehren, so Burger, aber um einen altersgerechten Sexualkundeunterricht. Zeitgeist und Ideologie habe an den Schulen nichts verloren. Die Eltern hätten ein recht zu wissen, welche Organisation den Sexualkundeunterricht macht, verlangt Burger.

Man habe jetzt erkannt, dass die Motion nicht mehrheitsfähig sei, zieht Motionär Bossert jetzt Bilanz und zieht die Motion zurück.

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