Defizit in der Langzeitpflege seit 2012 von 185 Mio. - 10 Fragen zum "wie weiter?"

Severin Lüscher, Grüne, Schöftland (Sprecher), Patrick Gosteli, SVP, Kleidöttingen, Edith Saner, Mitte, Birmenstorf, Therese Dietiker, EVP, Aarau, Lucia Engeli, SP, Unterentfelden, Tobias Hottiger, FDP, Zofingen und Hanspeter Budmiger, GLP, Muri, stellen in einer neuen grossrätlichen Interpellation zehn Fragen zu Unterfinanzierung und künftiger Entwicklung der stationären Langzeitpflege im Kanton Aargau.

Im Zeitraum 2012 bis 2023 haben sich zulasten der Aargauer Institutionen der Langzeitpflege bzw. deren Trägerschaften gemäss den aggregierten Kostenrechnungen, die der Kanton jährlich nach einheitlichem Standard bei den Leistungserbringern einfordert, Defizite von CHF 185 Mio. akkumuliert, heisst es im Vorstoss. Zuständig für die Festsetzung der Pflegenormkosten ist der Regierungsrat. Dieser sei in der Vergangenheit bestrebt gewesen, die Interessen der Leistungserbringer und die Interessen der Restkostenfinanzierer (Gemeinden) auszubalancieren.

Im Resultat klagen nun die Gemeinden über eine massive Zunahme der Restkosten, nachdem der Regierungsrat den Pflegeinstitutionen eine Annäherung der Pflegenormkosten an die Realität (u.a. deutlich zu tiefe Ansätze beim Start, Anstieg von Lohn- und Sachaufwand) zugestanden hat. Perspektivisch stelle sich die Frage, wer mit welchen Mitteln in den demografisch motivierten Ausbau der Bettenkapazität investieren soll, wenn die Pflegeinstitutionen selber in den vergangenen >10 Jahren im erwähnten Ausmass Defizite geschrieben haben.

Zudem sollen im Kanton in den kommenden Jahren die GGpl 2030 und vom Bund vorgegeben die Einheitliche Finanzierung ambulant und stationär (EFAS) im Pflegebereich ab 2032 umgesetzt werden. Diese komplexe Ausgangslage erfordere Prognosen und Szenarien, die gemäss Wissensstand der Interpellanten noch nicht ausgearbeitet seien. Sie bitten den Regierungsrat deshalb um Beantwortung folgender Fragen:

1. In welchen Szenarien prognostiziert der Regierungsrat den Bedarf an Pflegebetten2 für die nächsten 10-15 Jahre? Gibt es innerhalb des Kantons regionale Unterschiede? Wenn ja, worin bestehen diese? Sollen diese fortgeschrieben oder nivelliert werden? Sollen weiterhin vorwiegend gemeinnützige und der öffentlichen Hand gehörende Institutionen diese Pflegebetten aufbauen und betreiben, oder gibt es Bestrebungen, die Rahmenbedingungen für die Langzeitpflege im Kanton Aargau auch für gewinnorientierte Anbieter attraktiver zu gestalten?

2. Welcher Kapitalbedarf leitet sich aus dem prognostizierten Bedarf an Pflegebetten für die nächsten 15 Jahre ab? Wie soll das erforderliche Kapital bereitgestellt werden (auch unter Berücksichtigung der Konditionen für Hypothekarkredite, für welche die Banken derzeit bei Pflegeinstitutionen Eigenmittelquoten von 50% voraussetzen)? Über welche Instrumente verfügt der Kanton, welche zur Finanzierung dieser Investitionen beitragen könnten? Welche ist er bereit einzusetzen? Braucht es weitere Instrumente?

3. Bei welcher räumlichen Verteilung bzw. bei welchen Betriebsgrössen sieht der Regierungsrat eine optimale Effizienz der investierten Mittel? Wie sollen sich diese Erkenntnisse auf die Umsetzung des Ziels 12 bzw. der Strategie 12.1 der GGpl 20303 auswirken?

4. Welcher Personalbedarf4 leitet sich aus diesem prognostizierten Bedarf an Pflegebetten bei optimaler räumlicher Verteilung und optimalen Betriebsgrössen ab – bzw. kann der Personalbedarf mittels Optimierung dieser Parameter signifikant beeinflusst werden?

5. Können die benötigten Fachpersonen realistischerweise überhaupt ausgebildet bzw. rekrutiert werden? Falls die benötigten Fachpersonen fehlen, wie wird sich das auf die Pflegequalität auswirken? Wie werden pflegebedürftige Menschen versorgt, für die kein Personal zur Verfügung steht?

6. Wie positioniert sich der Kanton Aargau im Wettbewerb um Fachpersonal im Vergleich mit den umliegenden Kantonen (im Kanton Aargau gelten vergleichsweise tiefe Pflegenormkosten, was ein tieferes Lohnniveau zur Folge hat)? Wären Förderbeiträge an Fachpersonen Gesundheit (FaGe) für Weiterbildungen (z.B. Zertifikatslehrgänge, Fachvertiefungen, etc.) ein wirksamer Anreiz, diese für die Langzeitversorgung absolut zentralen Fachkräfte im Kanton Aargau zu halten?

7. Welchen Einfluss hätte eine rigorose Begrenzung der Zuwanderung (Stichwort 10 Millionen-Schweiz) auf die Verfügbarkeit von Fachkräften im Pflegesektor?

8. Sieht der Regierungsrat Handlungsbedarf bei der Anerkennung von ausländischen Diplomen, wenn ja bei welchen, und was müsste unternommen werden?

9. Welchen Korridor für die Entwicklung der Pflegekosten zulasten der öffentlichen Hand prognostiziert der Regierungsrat für die ersten Jahre nach Einführung von EFAS bis 2035, wenn man unterstellt, dass die angestrebte Ambulantisierung im Pflegebereich erst ab 2032 Fahrt aufnehmen wird?

10. Wäre es angesichts der bewussten und fortgesetzten Verletzung der fiskalischen Äquivalenz in Ziel 12 der GGpl 2030 (Gemeinden organisieren und bezahlen, der Kanton reguliert, bewilligt, beaufsichtigt, legt Normkosten fest) auch im Sinn der Planungs- und Investitionssicherheit geboten, den Poker zwischen Kanton und Gemeinden um die Zuständigkeit für die Pflegekosten zu beenden und diese Frage bereits mit der anstehenden Revision des Pflegegesetzes im Rahmen der GGpl 2030 auch für die Zeit unter EFAS nach 2032 zu regeln?