Häusliche Gewalt und Stalking: Kontakt- und Annäherungsverbot soll kantonsübergreifend gelten

In einer von Vertreterinnen und Vertretern aus allen sieben im Grossen Rat vertretenen Parteien unterzeichneten Motion, nämlich von Luzia Capanni, SP, Windisch (Sprecherin), Lelia Hunziker, SP, Aarau, Michael Notter, Mitte, Niederrohrdorf, Stephan Müller, SVP, Möhlin, Norbert Stichert, FDP, Untersiggenthal, Lutz Fischer, EVP, Wettingen, Manuela Ernst, GLP, Wettingen, Maurus Kaufmann, Grüne, Seon, verlangen diese eine "Optimierung des Aargauer Bedrohungsmanagements durch einen automatischen Vollzug ausserkantonaler Anordnungen im Bereich des Gewaltschutzes".
Nun liegt die Antwort des Regierungsrats vor. Er lehnt die Motion ab bzw. erklärt sich bereit, sie abgeschwächt als Postulat entgegenzunehmen. Die Motion verlangt die Schaffung von Rechtsgrundlagen, wonach ausserkantonale Massnahmen im Bereich des Gewaltschutzes auch im Kanton Aargau Rechtswirkungen entfalten. Zudem soll sich der Regierungsrat dafür einsetzen, dass im Kanton Aargau angeordnete Polizeimassnahmen aus dem Bereich des Gewaltschutzes auch über die Kantonsgrenzen hinaus gelten.
Es geht konkret um Kontakt- und Annäherungsverbote
Bei der Begründung ihres Vorstosses beziehen sich die Motionärinnen und Motionäre konkret auf Kontakt- und Annäherungsverbote, schreibt der Regierungsrat in seiner Antwort weiter. Die Kantonspolizei verfüge solche Massnahmen insbesondere bei Fällen von häuslicher Gewalt und Stalking. Wer einer solchen Verfügung zuwiderhandelt, macht sich wegen Ungehorsams gegen amtliche Verfügungen gemäss Art. 292 des Schweizerischen Strafgesetzbuchs (StGB) strafbar.
Regierung: gilt nur im Kanton Aargau
Im öffentlichen Recht, zu welchem auch das Polizeirecht gehört, gilt der Grundsatz des Territorialitätsprinzips. Dieses besagt, dass öffentliches Recht nur in demjenigen Hoheitsgebiet Rechtswirkungen entfaltet, in welchem es erlassen worden ist. Ein gestützt auf das Polizeigesetz verfügtes Kontakt- und Annäherungsverbot gelte deshalb nur im Kanton Aargau. Deshalb macht sich die mit einem solchen Verbot belegte Person voraussichtlich nicht strafbar, wenn sie die von einem solchen Verbot geschützte Person in einem anderen Kanton kontaktiert oder sie sich ihr dort annähert.
Regierung räumt ein: Rechtslage ist unbefriedigend
Der Regierungsrat teilt die Auffassung der Motionärinnen und Motionäre, dass die Rechtslage betreffend ausserkantonale Geltung von Kontakt- und Annäherungsverboten unbefriedigend ist. Ein solches Verbot verliere einen grossen Teil seiner Wirkung, wenn es in nur einem Kanton gilt. Es müsse deshalb zum einen gewährleistet werden, dass ein solches Verbot auch ausserkantonal Rechtswirkung entfaltet. Zum anderen müsse sichergestellt werden, dass ausserkantonale Behörden über die im Kanton Aargau angeordneten Kontakt- und Annäherungsverbote informiert werden dürfen.
Schliesslich sei sicherzustellen, dass die Aargauer Behörden über ausserkantonale Kontakt- und Annäherungsverbote informiert werden und diese Verbote im Kanton Aargau gelten. Aufgrund des Territorialitätsprinzips können diese Anliegen nicht im Aargauer Polizeirecht umgesetzt werden. Es könen darin nicht geregelt werden, dass im Kanton Aargau verfügte Kontakt- und Annäherungsverbote auch ausserkantonal Rechtswirkung entfalten. Auch könne darin nicht bestimmt werden, dass ausserkantonal angeordnete Kontakt- und Annäherungsverbote im Kanton Aargau gelten. Schliesslich lässt sich im Aargauer Polizeirecht auch nicht regeln, dass sich die Kantone gegenseitig über angeordnete Kontakt- und Annäherungsverbote informieren müssen.
Regierung: Anliegen ist im Aargauer Polizeirecht nicht umsetzbar
Weil das Anliegen der Motionärinnen und Motionäre nicht im Aargauer Polizeirecht umgesetzt werden kann, lehnt der Regierungsrat die Motion ab. Er ist jedoch bereit, diesen Vorstoss als Postulat entgegenzunehmen. Bei der Umsetzung des Vorstosses als Postulat werde zu prüfen sein, ob das Anliegen des Vorstosses im Rahmen einer interkantonalen Vereinbarung oder allenfalls im Bundesrecht umgesetzt werden kann.
Der Regierungsrat erachtet es als sinnvoll, wie er weiter schreibt, das Anliegen der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) zur weiteren Prüfung zu unterbreiten. Ein solches koordiniertes Vorgehen durch die KKJPD erweise sich auch deshalb als sinnvoll, weil im Wesentlichen gleichlautende Vorstösse auch in anderen Kantonen (Luzern und St. Gallen) eingereicht worden sind und sich in diesen Kantonen dieselben Rechtsfragen stellen. Es werde in diesem Zusammenhang unter anderem auch zu prüfen sein, ob es weitere polizeirechtliche Massnahmen aus dem Bereich des Gewaltschutzes oder aus anderen Themenbereichen gibt, die ebenfalls gesamtschweizerische Rechtswirkung entfalten sollten.
Auf Bundesebene ist bereits eine Motion hängig
Was den interkantonalen Informations- beziehungsweise Datenaustausch betrifft, verweist der Regierungsrat darauf, dass auf Bundesebene bereits eine (23.4311) Motion der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrats betreffend Schaffung einer Verfassungsgrundlage für eine Bundesregelung des nationalen polizeilichen Datenaustausches vom 10. Oktober 2023 hängig.
Mit dieser soll der schweizweite Daten- und Informationsaustausch zwischen den Polizeiorganisationen verbessert werden. Ob und bis wann dieser parlamentarische Vorstoss umgesetzt wird, ist gegenwärtig offen. Deshalb beschäftigt sich parallel dazu auch die KKJPD mit dieser Thematik und plant die Schaffung eines entsprechenden Konkordats. Der Regierungsrat sieht entsprechend vor, die Anliegen der vorliegenden Motion in die laufenden Arbeiten des Bundes und der KKJPD einzubringen.