Grosser Rat: trotz viel Kritik deutliches Ja zum dritten Abschnitt der Wiggertalstrasse - SVP und FDP setzen Parkplatzvorstoss durch

Geschätzte Leserinnen und Leser
Ausserordentlich begann die heutige Grossratssitzung nicht um 10, sondern schon um 8.30 Uhr.
Verfolgen Sie die Beschlüsse auf dieser Seite live ab 08.30 Uhr. Traktandiert sind zahllose Interpellationen, zu denen keine Beschlüsse gefasst werden, aber unter anderem auch eine Motion zu Parkplätzen in Städten und Gemeinden, aber auch für eine Eingabe beim Bund für eine Verbindung Basel-Koblenz-Winterthur mittels Reaktivierung der Rheintallinie auf Schweizer Seite verlangt. Die Regierung will beide Vorstösse lediglich als Postulat zur Prüfung entgegennehmen.
Es ist 08.30 Uhr, Ratspräsident Markus Gabriel eröffnet die Sitzung. Anwesend sind 134 Grossrätinnen und Grossräte.
Als erstes kommt es zu zwei Inpflichtnahmen:
- als Mitglied der Justizleitung - Marc Busslinger, Untersiggenthal
- als Ersatzmitglied der Justizleitung - Raphael Kathriner, Bottenwil.
Dritter Abschnitt Wiggertalstrasse: zu teuer, zu viele Fragen?
Beim ersten Geschäft, in dem ein Beschluss gefasst wird, geht es um einen Verpflichtungskredit zur Wiggertalstrasse, Abschnitt Nord, mit flankierenden Massnahmen K235 Bernstrasse und K309 Rössliweg; Anpassung. Namens der vorberatenden Kommission UBV referiert Jonas Fricker, Baden.
Die Kommission für Umwelt, Bau, Verkehr, Energie und Raumordnung (UBV) stimme dem dritten Abschnitt der Wiggertalstrasse zu. Der Abschnitt Nord in Rothrist soll gemäss Botschaft realisiert werden, sagt Fricker.
Die Wiggertalstrasse ist eine Entlastungsachse für die Kantonsstrasse von Zofingen nach Aarburg. Nachdem die Abschnitte Süd und Mitte in den Jahren 2009 und 2018 dem Verkehr übergeben wurden, soll nun der dritte und letzte Abschnitt gebaut werden.
Der Abschnitt Nord der Wiggertalstrasse NK204 in Rothrist beinhaltet die Fortführung der Wiggertalstrasse von der Bernstrasse bis zum Autobahnanschluss A1/A2 und die Aufwertung des historischen Dorfkerns Rothrist durch flankierende Massnahmen. Mit diesem dritten und letzten Abschnitt wird die bestehende Lücke in der Wiggertalstrasse zwischen Oftringen und Rothrist geschlossen. Der neue Strassenabschnitt soll insbesondere einen grossen Teil des Wohngebiets von Rothrist vom Durchgangsverkehr entlasten.
In der Kommission habe sich ein grosser Informationsbedarf gezeigt, so Fricker,, insbesondere im Zusammenhang mit der Linienführung, den Verkehrsmodellierungen, den flankierenden Massnahmen und dem geplanten Abtausch von Fruchtfolgeflächen. Das Departement Bau, Verkehr und Umwelt (BVU) erarbeitete in der Folge umfangreiche Zusatzinformationen. Den entsprechenden Zusatzbericht und das entsprechende Faktenblatt stehen öffentlich zur Verfügung. Ihnen allen wurde ein Informationsschreiben des Referendumskomitee per E-Mail zugestellt. Die Inhalte dieses Schreibens, sowie weitere Stellungnahmen des Gemeinderats Rothrist, von Zofingenregio und des ASTRA standen der UBV an ihren Sitzungen im Februar und März dieses Jahres schon zur Verfügung, sagt Fricker weiter.
Nach Würdigung aller dieser Perspektiven und trotz geäusserter Kritik an den Gesamtkosten, den flankierenden Massnahmen und den Auswirkungen auf die Umwelt stelle sich – im Sinne eines Kompromisses – die Kommission hinter die Vorlage, so Fricker.
Eine Umfahrungsstrasse ohne flankierende Massnahmen bringe nicht die gewünschte Entlastung und gefährde die in Aussicht gestellten Bundesbeiträge aus dem Agglomerationsprogramm. Die Linienführung berücksichtige zudem die geplante Einzonung der Wiggermatte als Arbeitszone (anstelle Oberwilerfeld) und sei zudem im Dezember 2016 vom Grossen Rat ohne Gegenstimme im Richtplan festgesetzt worden. Weiter stehe die betroffene Region hinter dem Projekt.
Die Kommission für Umwelt, Bau, Verkehr, Energie und Raumordnung (UBV) stimmt dem Antrag des Regierungsrats auf einen Verpflichtungskredit in der Höhe von 36,67 Millionen Franken mit 9 zu 6 Stimmen zu.
Bei Ablehnung zurück auf Feld 1 und jahrelang warten?
In der Debatte zeigt sich: Eintreten ist zwar unbestritten, die Strasse als solches ist unbestritten, doch zur Umsetzung gibt es zahlreiche Fragen und Unzufriedenheiten mit unterschiedlichen Teilen der Vorlage. Diese erfährt in der Debatte viele Vorbehalte von rechts (zu teuer) und von links (mehr Verkehr, Umwelt). Vieles sei zudem unklar, wird kritisiert. Ein Grossrat fragt nun angesichts der vielen geäusserten Vorbehalte, was denn bei einer Ablehnung geschehe? Dann gehe es zurück auf Feld 1 und mehrere Jahre gingen verloren.
Nach intensiver Debatte und einem Appell von Baudirektor Stephan Attiger stimmt der Rat überraschend deutlich mit 91 : 42 Stimmen zu.

Wird Rheintallinie für den Personenverkehr reaktiviert?
Danach wird es um eine Motion gehen von E. Suter, (Sprecher), A. Steinacher, D. Stutz, S. Müller, A. Reimann (alle SVP), C. Basler, H. Hubmann, C. Rohrer, R. Schmid, C. Binder (alle SP), B. Käser, B. Scholl, B. Tüscher (alle FDP), M. Baumgartner, P. Laube, A. Kaufmann, D. Mezzi (alle Mitte), B. Bieber, GLP, A. Fischer, Grüne. Sie alle verlangen eine Eingabe beim Bund des Angebotsziels für eine Verbindung Basel-Koblenz-Winterthur mittels Reaktivierung der Rheintallinie auf Schweizer Seite. Die Regierung will den Vorstoss lediglich als Postulat zur Prüfung entgegennehmen.
Sie begründen den Vorstoss - die Reaktivierung der Rheintallinie für den Personenverkehr kommt seit Jahren immer wieder aufs Tapet - wie folgt: Nationalrat Christoph Riner, Zeihen, hat vor rund einem Jahr eine Interpellation mit dem Titel "Den Aargau nicht vergessen" eingereicht. Darin wollte er vom Bundesrat unter anderem wissen, in welchem Zeitrahmen er bereit sei, die Reaktivierung der Rheintallinie Basel-Winterthur zu prüfen. Der Bundesrat antwortete, dass es in der Verantwortung des Kantons Aargau (bzw. allfälliger weiterer Kantone) sei, das Angebotsziel für eine Verbindung Basel-Winterthur über die "Schweizer Rheintallinie" für einen der nächsten Ausbauschritte einzugeben. Nach einer solchen Eingabe würde der Angebotsausbau durch den Bund bewertet und je nach Resultat allenfalls für die Realisierung dem Parlament beantragt.
Für die Regionen Fricktal und Zurzibiet hätte die Reaktivierung der Rheintallinie eine grosse Bedeutung, sind die Motionärinnen und Motionäre überzeugt. Die Regionen würden an Attraktivität für Familien, Arbeitnehmende aber auch für KMU gewinnen. Die Reaktivierung der Rheintallinie würde auch die dringend benötigte Vernetzung von Arbeitsplatzschwerpunkten wie dem Sisslerfeld, mit bis zu 10'000 Arbeitsplätzen, den Wirtschaftsräumen Ostschweiz und Nordwestschweiz gewährleisten, argumentieren sie im Vorstoss weite, und: "Durch die Rheintallinie würde auch die Bözbergstrecke entlastet. Ausbauschritte bei Bahnstrecken bedürfen einer langfristigen und vorausschauenden Planung, weshalb jetzt proaktiv im Interesse der betroffenen Regionen, aber auch des ganzen Aargaus gehandelt werden muss."
Der Regierungsrat will den Vorstoss nur als unverbindliches Postulat zur Prüfung des Anliegens entgegennehmen. Die Motionäre sind damit einverstanden. Der Vorstoss wird stillschweigend als Postulat überwiesen.
Vorstoss zur Schulwegsicherheit an Ammerswilerstrasse in Lenzburg
In einer Motion Sabine Sutter-Suter, Mitte, Lenzburg (Sprecherin), Matthias Betsche, GLP, Möriken-Wildegg, Gabi Lauper Richner, SP, Niederlenz, Claudia Rohrer, SP, Rheinfelden, Christian Minder, EVP, Lenzburg, Maurus Kaufmann, Grüne, Seon, Adrian Meier, FDP, Menziken, geht es um die Schulwegsicherheit im Bereich der Kindergärten Widmi Ost und Widmi West an der Ammerswilerstrasse (K 374), Lenzburg. Hier ist der Regierungsrat zur Entgegennahme mit einer Erklärung bereit. Auch dies geschieht so.
Wie viele Parkplätze brauchen Städte und Gemeinden? - Auslöser des Vorstosses war Baden
In einer Motion von Adrian Schoop, FDP, Baden, geht es um den Bestandesschutz im Parkplatzangebot in den Städten und Gemeinden. Die Regierung will den Vorstoss lediglich als Postulat entgegennehmen.
Worum geht es? Der Stadtrat von Baden habe einen radikalen Abbau von Parkplätzen angekündigt, schreibt Schoop in seinem Vorstoss. Damit soll jeder dritte Parkplatz innerhalb eines Jahres verschwinden. Zwar sei der Stadtrat dann teilweise zurückgerudert, doch das Vorgehen in Baden offenbare "die teilweise feindliche Haltung gegenüber dem motorisierten Individualverkehr in den Städten".
Der Kanton Aargau sei durch ein Zusammenspiel von städtischen und ländlichen Regionen geprägt. Viele Berufspendler sowie Gewerbetreibende, die in der Stadt arbeiten, leben ausserhalb und sind auf eine zuverlässige Erreichbarkeit auch mit dem motorisierten Individualverkehr angewiesen. Dasselbe gelte für Familien und für ältere Personen, denen die Benutzung des öffentlichen Verkehrs nicht immer möglich oder zumutbar ist. Das Parkplatzangebot betreffe somit nicht nur eine einzelne Gemeinde, sondern habe Auswirkungen auf die Mobilität und Lebensqualität im gesamten Kanton.
Der Aargau und auch die Schweiz seien daher bislang gut gefahren, die verschiedenen Verkehrsträger nicht gegeneinander auszuspielen, sondern ein Miteinander zu ermöglichen. Mittlerweile schienen jedoch auch im Kanton Aargau gewisse Städte und Gemeinden "davon infiziert zu werden, Autos aus rein ideologischen Gründen zu verbannen", so Schoop weiter.
Schoop: Selbst Beibehalten der Parkplätze ist eigentlich ein Rückbau
Das gefährdet das Miteinander der Verkehrsträger. Zudem bestehe eine Pflicht für den Erhalt bzw. für den Bau von Parkplätzen in ähnlicher Form bereits für Private. Dass nun die öffentliche Hand bestehende Parkplätze ohne weiteres abbauen darf, erscheine als besonders stossend. Es sei anzumerken, dass selbst der Erhalt der bestehenden Parkplatzanzahl einem faktischen Rückbau gleichkomme.
Das stetige Bevölkerungswachstum im Kanton führe nämlich zu einer wachsenden Nachfrage, was zur Verknappung bestehender Ressourcen führe. Das geforderte Vorgehen führe also keineswegs dazu, dass der motorisierte Individualverkehr attraktiver wird bzw. gleich attraktiv bleibe. Die verlangte Massnahme stelle immerhin sicher, "dass auch in Zukunft Personen, die auf ein Auto angewiesen sind, die Städte und Quartiere weiterhin erreichen können".
Der Regierungsrat lehnt den Vorstoss als Motion ab, weil er die Gemeindeautonomie nicht antasten will.
Grüne, SP, Mitte, GLP und EVP gegen Postulat, FDP und SVP dafür
Die Grünen (Sprecher Maurus Kaufmann) lehnen den Vorstoss auch als Postulat ab und bestreiten dessen Überweisung. Auch die Mitte lehnt das Postulat ab (Sprecher Markus Schneider, Stadtammann von Baden), das bringe nur unnütze Kosten. Als skurril erachtet die GLP (Sprecherin Iva Marelli) den Vorstoss, von einem "radikalen Parkplatzabbau" könne sowieso keine Rede sein. Anders sieht es die SVP. Stefan Giezendanner dankt Schoop, dass er sich für die Autofahrer einsetzt. Die SVP wäre für eine Motion, natürlich auch für ein Postulat. Die SP dagegen (Sprecherin Gabi Lauper Richner) lehnt den Vorstoss als solches ab. Ablehnung für beides kommt auch von der (EVP (Sprecher Christian Minder).
Als letzter spricht der Motionär Adrian Schoop selbst und verteidigt seinen Vorstoss als Postulat. Hier finde ein eigentlicher Parkplatz-Raubabbau statt. Man kenne doch den Suchverkehr. Es brauche Parkplätze. Wer solche abbaue, müsse für gleichwertigen Ersatz sorgen. Er will jetzt einen Bericht, der untersucht, wie sich die Situation entwickelt.
Baudirektor Stephan Attiger sagt nun, es sei zu definieren, was ein öffentlicher Parkplatz ist. Es könne nicht sein, dass eine Gemeinde eine nicht abgestimmte Strategien wähle, da habe der Kanton eine Rolle. Man sei für eine differenzierte Betrachtung in der Parkplatzfrage, sie sei situativ zu entscheiden. Er empfiehlt Ja zum Vorstoss als Postulat.
Der Rat stimmt ab und entscheidet mit 75 : 60 für das Postulat. SVP und FDP stimmten geschlossen dafür.
Die Grossratssitzung endet heute bereits um 10.45 Uhr. Dies, weil die Fraktionen am Nachmittag ihre jährlichen Ausflüge unternehmen.
Geschätzte Leserinnen und Leser, Danke fürs Verfolgen der Grossratsdebatte.
Ich würde mich freuen, wenn Sie am 3. Juni wieder vorbeischauen würden, dann findet eine Ganztagessitzung statt (von 10 - 12.30 und von 14 bis 17 Uhr).
Ihnen einen wunderschönen Tag!
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