Grossräte wollen wissen, wie das Electronic Monitoring im Aargau läuft
Stephan Müller, SVP, Möhlin (Sprecher), Nicole Heggli-Boder, SVP, Buttwil, Michael Notter, Mitte, Niederrohrdorf, Lutz Fischer, EVP, Wettingen, Lelia Hunziker, SP, Aarau, Lukas Huber, GLP, Berikon, Bruno Tüscher, FDP, Münchwilen, Maurus Kaufmann, Grüne, Seon, haben in einer Interpellation am 4. März im Grossen Rat eine ganze reihe Fragen betreffend 24/7-Überwachung von Electronic Monitoring im Kanton Aargau eingereicht.
Sie begründen die Fragen so: Unter bestimmten Voraussetzungen kann Electronic Monitoring (EM) als alternative Vollzugsform im Erwachsenen- und Jugendstrafrecht sowie auch in zivilrechtlichen Verfahren eingesetzt werden. Das Bundesgericht hat mit Urteil vom 18. März 2024 (7B_261/2023) den Anwendungsbereich erweitert und die Praxis an die der Halbgefangenschaft angeglichen. Mit dieser Praxisänderung ist EM als Strafvollzugsform auch bei teilbedingten Freiheitsstrafen möglich, sofern der unbedingt vollziehbare Teil der Freiheitsstrafe maximal 12 Monate beträgt.
Da die Gesamtstrafe (bedingter und unbedingter Teil) nun bis zu 3 Jahre sein darf, statt nur 1 Jahr wie zuvor, kann EM auch bei Straftätern zum Einsatz kommen, welche wegen einer strafbaren Handlung gegen die sexuelle Integrität (z.B. Vergewaltigung) verurteilt worden sind. Wie der Pendlerzeitung 20 Minuten vom 10. Februar 20251 zu entnehmen ist, werden in mehreren Kantonen die Fussfessel-Träger nur zu Bürozeiten überwacht, heisst es weiter im Vorstoss.
Grossräte fordern: Bewegungen rund um die Uhr registrieren, um sofort intervenieren zu können
Nachts und am Wochenende würden die Bewegungen zwar aufgezeichnet, Verstösse bleiben jedoch unbeachtet und werden erst am nächsten Arbeitstag oder bei Feiertagen sogar erst nach mehreren Tagen festgestellt, schreiben die Grossräte weiter. Als weitere Form werde EM im Bereich von Ersatzmassnahmen anstelle von Untersuchungs- oder Sicherheitshaft eingesetzt. Insbesondere im Bereich des Opferschutzes (z.B. Häusliche Gewalt, Stalking) sollten jedoch die Bewegungen rund um die Uhr registriert und überwacht werden können, damit bei einem Verstoss sofort interveniert und der Opferschutz gewährleistet werden kann; denn jede einzelne Tat ist eine zu viel.
Verweis auf Erfahrungen in Spanien
Spanien macht seit einigen Jahren mit einem kombinierten Einsatz von EM gute Erfahrungen. Dabei werden die Bewegungen von Opfer und Tatperson rund und die Uhr registriert und überwacht. Nötigenfalls kann eine polizeiliche Intervention zum Schutz des Opfers eingeleitet werden, so die Grossräte weiter.
Der Kanton Zürich führte diesbezüglich 2023/24 einen Pilotversuch durch. In diesem Kontext wird der Regierungsrat um die Beantwortung folgender Fragen gebeten (sie folgen im Wortlaut):
- "Mit welcher Art (passiv oder aktiv) wird EM im Kanton Aargau überwacht? a. Mit welcher Technik werden Haus- und/oder Rayonarreste überwacht? b. Mit welcher Technik werden Rayon- und Kontaktverbote, Ersatzmassnahmen etc. überwacht?
- Wenn nur mittels passiver Überwachung (Montag bis Freitag zu Bürozeiten) die Einhaltung der Auflagen kontrolliert wird – was ist der Grund für die gewählte Überwachungsart und -zeit?
- Kam oder kommt die aktive Überwachung im Kanton Aargau in speziellen Fällen zur Anwendung? Wenn ja, in welchen Fällen und Delikten?
- Wie viele Gesuche für EM wurden in den letzten 5 Jahren gestellt? Bitte listen Sie die Gesuche pro Jahr auf.
- Wie viele Gesuche für EM wurden im Erwachsenen- und Jugendstrafrecht in den letzten 5 Jahren (pro Jahr) bewilligt: a. Für welche Delikte b. Als Hausarrest anstelle des Freiheitsentzugs c. Als Hausarrest anstelle der letzten Phase des Freiheitsentzugs
- In wie vielen Fällen in den letzten 5 Jahren wurde anstelle von Untersuchungshaft EM als Ersatzmassnahme durch das Zwangsmassnahmengericht angeordnet? Bitte listen Sie pro Jahr auf, welche Ersatzmassnahmen bei welchen Delikten verfügt wurden (z.B. Rayon-, Kontaktverbot, Rayon- oder Hausarrest)
- Welche Anzahl von EM wurden seit 1. Januar 2022 bei zivilrechtlichen Verfahren im Kanton Aargau angeordnet? Bitte listen Sie pro Jahr auf, was für Verbote für welche Delikte verfügt wurden (z.B. Kontakt- oder Rayonverbot).
- Wurde im Kanton Aargau seit dem Urteil des Bundesgerichts vom 18. März 2024 von der Erweiterung des Anwendungsbereichs von EM bereits Gebrauch gemacht? Wenn ja, bitte Anzahl und Delikte nach Erwachsenen- und Jugendstrafrecht auflisten.
- In wie vielen Fällen wurde in den letzten 5 Jahren gegen die verfügten Auflagen verstossen? Bitte listen Sie die Verstösse einzeln nach Jahr, Delikt, Erwachsenen-, Jugendstraf- und Zivilrecht auf und was die Folgen dieser Verstösse waren?
- Welche Anzahl Fälle der Vollzugsform EM musste in den vergangenen 5 Jahren im Kanton Aargau abgebrochen werden? Bitte listen Sie pro Jahr auf, was die Gründe für den Abbruch waren und die Folgen daraus (z.B. Rückversetzung in den Strafvollzug)?
- Wenn eine Person gegen die verfügten Auflagen verstösst: Wie viel Zeit vergeht zwischen der Feststellung des Verstosses und einer entsprechenden Intervention? Wie läuft eine solche Intervention ab (z.B. Kontaktaufnahme per Telefon, polizeiliche Intervention etc.)?
- Betreibt das Amt für Justizvollzug des Kantons Aargau ein Pikett-Telefon für EM, damit im Notfall durch die Polizei der aktuelle Standort einer Person eruiert und die notwendigen Informationen eingeholt werden können? a. Wenn kein solches Pikett-Telefon betrieben wird: Aus welchem Grund wird darauf verzichtet? b. Auf welche Weise gelangt dann die Polizei im Notfall zu den notwendigen Informationen?
- Kann sich der Regierungsrat vorstellen, das dynamische EM-Modell aus Spanien im Kanton Aargau einzuführen? Wenn nein: Welche Gründe sprechen dagegen?
- Kann sich der Regierungsrat vorstellen, eine vom Amt für Justizvollzug betriebene kantonale Überwachungszentrale für EM zu schaffen, um die Kontrolle dieser Vollzugsform 24/7 zu garantieren und bei Verstössen sofort reagieren zu können?
- Kann sich der Regierungsrat vorstellen, mit anderen Kantonen zusammen (z.B. analog Strafvollzugskonkordat Nordwest- und Innerschweiz) eine überkantonale Überwachungszentrale für EM zur Kontrolle dieser Vollzugsform 24/7 zu schaffen und zu betreiben?
- Künstliche Intelligenz (KI) könnte möglicherweise für eine 24/7-Überwachung von EM eingesetzt werden, um bei einem Verstoss eine sofortige Alarmierung/Intervention sicherzustellen. Kann sich der Regierungsrat vorstellen oder ist es bereits angedacht, KI bei der Überwachung von EM einzusetzen?"