Grossräte wollen, dass Hausärzte Medikamente verkaufen dürfen

Grossräte wollen, dass Hausärzte Medikamente verkaufen dürfen
Hanspeter Budmiger, Sprecher der Motionäre. Foto: Michael Küng

Vor Jahren hat das Aargauer Stimmvolk gleich über zwei Volksinitiativen abgestimmt (eine vom Ärzte- und eine vom Apothekerverband), in denen es um die sogenannte Selbstdispensation der Ärzte ging. Demnach sollten diese Medikamente nicht nur verschreiben sondern auch selbst abgeben dürfen. Das Volk entschied gegen die Selbstdispensation, was die Apotheker sehr freute und die Ärzte verärgerte.

Jezt bringen Grossräte aus allen im Grossen Rat vertretenen Parteien das Thema mit einer Motion wieder in die Politik. Getragen wird sie von Hans-Peter Budmiger, GLP, Muri (Sprecher), Dr. Severin Lüscher, Grüne, Schöftland, Dr. Thomas Ernst, FDP, Magden, Dr. Lucia Engeli, SP, Unterentfelden, Martin Bossert, EDU, Rothrist, Stefan Giezendanner, SVP, Baden, Franziska Stenico-Goldschmid, Mitte, Beinwil (Freiamt).

Es geht um Allgemeine Innere Medizin, Praktischer Arzt, Kinder- und Jugendmedizin, Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie Psychiatrie

Diie Motionäre wollen den Regierungsrat beauftragen, das Gesundheitsgesetz (GesG) so anzupassen, dass es Ärztinnen und Ärzten der Grundversorgung erlaubt ist, Medikamente abzugeben, und damit das beste hende Selbstdispensationsverbot in dieser Form aufzuheben. Unter Grundversorgung sind Ärztinnen und Ärzte zu verstehen, die ihr Pensum überwiegend in den Fachrichtungen Allgemeine Innere Medizin, Praktischer Arzt, Kinder- und Jugendmedizin, Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie Psychiatrie ausüben.

Begründet wird der Vorstoss so: Patientinnen und Patienten haben im Kanton Aargau keine freie Wahl, ob sie ihre benötigten Medikamente direkt bei ihrem behandelnden Arzt, ihrer behandelnden Ärztin oder in einer Apotheke beziehen wollen. Sie werden stattdessen von Gesetzes wegen "genötigt", wie die Motionäre schreiben (wohlverstanden, das ist auf einen Volksentscheid zurückzuführen, Anm. der Redaktion), immer eine Apotheke aufzusuchen, selbst wenn sie nach erfolgter ärztlicher Konsultation diesen Umweg nicht in Kauf nehmen möchten.

Ausnahmen gelten bei Notfällen oder wenn sich die nächste Apotheke sehr weit entfernt befindet. Die Zuständigkeit für diese Regelung liegt gemäss KVG und Bundesgerichtsurteil vom 23. September 2011 bei den Kantonen. Im Jahr 2013 haben der Grosse Rat und das Aargauer Stimmvolk eine Volksinitiative zur Einführung der Selbstdispensation (SD) abgelehnt. Seither hätten sich die Rahmenbedingungen stark verändert, schreiben die Motionäre.

Während alle Nachbarkantone die SD in der Grundversorgung kennen, bleibe der Aargau weiterhin ein Sonderfall. Der Aargau schliesse sich dadurch faktisch selber vom Wettbewerb aus, "denn vor allem diejenigen Ärztinnen und Ärzte, welche wir am dringendsten brauchen, erfahren einen massiven finanziellen Nachteil und entscheiden sich aus diesem Grund für einen anderen Kanton und gegen eine Tätigkeit im Kanton Aargau".

Hausärztedichte im Aargau 2021 unter 0,57 pro 1000 Einwohner

Dies habe gravierende Folgen: Die Hausärztedichte im Kanton Aargau lag 2021 unter 0,57 pro 1000 Einwohner, im Freiamt und weiteren Versorgungsräumen sogar bei weniger als 0,4. Die OECD empfiehlt mindestens 1,0 pro 1000 Einwohner. Wie jüngst in der Aargauer Zeitung am Beispiel Jonen aufgezeigt, verlassen Hausärzte den Kanton oder planen dies, weil die Bedingungen unattraktiv (bzw. in nächster Nähe ausserhalb des Kantons Aargau deutlich besser) seien.

"Ärzte eröffnen Praxis in anderem Kanton"

Ärztinnen und Ärzte, welche eine neue Praxis eröffnen wollen, entschieden sich von Anfang an für einen anderen Kanton. Dies gefährdee in der Summe die ärztliche Grundversorgung und die Versorgungssicherheit ganzer Regionen. Auch die Gemeinden versuchten mit finanziellen Anreizen wie vergünstigten Praxisräumen die ärztliche Versorgung aufrechtzuerhalten. Das sei jedoch problematisch: Es verschärfe den Wettbewerb unter den Gemeinden, führe zu höheren Gesamtkosten und binde Steuergelder an einem Ort, wo sie gar nicht vorgesehen wären.

"Apotheke kann keinen Hausarzt ersetzen"

Das dichte Apothekennetz im Kanton Aargau sei wertvoll und wichtig für eine gute Gesundheitsversorgung. Doch eine Apotheke könne keinen Hausarzt ersetzen – sie ist eine Ergänzung, keine Alternative. Für eine funktionierende Grundversorgung brauche es beides. Die ärztliche Medikamentenabgabe ermögliche Wahlfreiheit für die Patientinnen und Patienten und beseitig "einen klaren Standortnachteil des Kantons Aargau". Es sei deshalb richtig und notwendig, weit über zehn Jahre nach dem Volksentscheid die Situation neu zu beurteilen und klüger zu entscheiden.

Die Sicherung der ärztlichen Grundversorgung habe heute eine andere Dringlichkeit und verdiene eine zeitgemässe Lösung. Allein mit der SD durch behandelnde Ärztinnen und Ärzte in der Grundversorgung löse man nicht alle Fragen – "aber wir beheben zumindest einen klaren Nachteil für unseren Kanton, der mit noch so viel finanzieller Unterstützung durch die öffentliche Hand bzw. die Steuerzahlenden nicht aufgewogen werden kann. Es geht um die Sicherung einer zweckmässigen ärztlichen Grundversorgung zu Guns ten der Bevölkerung. Ein wichtiges Puzzlestein, damit auch in Zukunft ein Kinderarzt oder Hausarzt gefunden werd kann", wie es abschliessend in der Motion heisst.