Nach Redeschlacht zu SVP-Motion: knappe Mehrheit will, dass Regierung alles in ihrer Kompetenz tut, damit möglichst rasch ein neues KKW im Aargau kommt

Am Dienstag ging es im Grossen Rat um ein hochemotionales Thema: Die SVP-Fraktion (Sprecher Pascal Furer, Staufen) will den Regierungsrat beauftragen, alle notwendigen Vorkehrungen und Absprachen zu treffen und allfällige Erlassänderungen in die Wege zu leiten, damit im Kanton Aargau möglichst rasch mindestens ein weiteres Kernkraftwerk in Betrieb genommen werden kann.

Pascal Furer: "Der Abbau der AKW dauert sechs Jahre, bis da können wir alle ersetzen". Fotos: Michael Küng

Die SVP begründet dies so: Der Bundesrat will das Neubauverbot für Kernkraftwerke aufheben lassen. Dies sei richtig und wichtig, damit mit mindestens einem neuen Kernkraftwerk die unterbruchsfreie Lieferung von genügend und sauberer elektrischer Energie gewährleistet werden kann, so die SVP-Fraktion. Dies sei Voraussetzung für einen zukunftsfähigen Kanton Aargau – und eine zukunftsfähige Schweiz – mit einer wettbewerbsfähigen Wirtschaft als Grundlage für den Wohlstand der gesamten Bevölkerung.

SVP: Aargau als Standort prädestiniert

Als Energiekanton mit bereits drei Kernkraftwerken an zwei Standorten sei der Kanton Aargau prädestiniert, beim Ausbau der Kernenergie an vorderster Front mitzuhelfen. Die Bevölkerung vertraue der Technologie und genügend Fachkräfte seien bereits ansässig, heisst es im Vorstoss weiter. Der Regierungsrat soll den Prozess für den Ausbau anstossen, die notwendigen Rahmenbedingungen für einen Neubau sicherstellen und die allfälligen Erlassänderungen in die Wege leiten.

Es sollen auch Gespräche mit bestehenden und möglichen künftigen Betreibern und Investoren geführt werden, um auch die Bedürfnisse dieser Seite abzuholen. Auch ein finanzielles Engagement oder Garantien des Kantons – direkt oder indirekt über seine Energiefirmen – sollen geprüft werden, falls notwendig; selbstverständlich unter entsprechender Abgeltung.

Regierung lehnt Motion ab - sie könne nicht umgesetzt werden

Der Regierungsrat lehnt den Vorstoss als verbindliche Motion ab, ist aber bereit, ihn als unverbindlicheres Postulat entgegenzunehmen. Erlassänderungen im Bereich der Nutzung der Kernenergie sind in der alleinigen Kompetenz des Bundes und nicht der Kantone, argumentiert er unter anderem. Deshalb bestehe kein Gestaltungsspielraum der Kantone. Eine Umsetzung gemäss Motionstext sei nicht in der Kompetenz des Kantons. Die Motion könne entsprechend nicht umgesetzt werden. Es bestehe aktuell eine grosse Dynamik im Bereich der Aufhebung des Bauverbots neuer KKW. Der Kanton Aargau beobachte auch ohne Überweisung der Motion die Veränderungen auf Bundesebene in diesem Bereich.

Wird die Bundesgesetzgebung entsprechend angepasst, überprüfe der Kanton Aargau die möglichen Anpassungen der kantonalen Grundlagen. Der Regierungsrat anerkenne die Wichtigkeit eines vorausschauenden Dialog- und Denkprozesses, auch im Rahmen von Eventualplanungen, um für zukünftige Entscheide des Bundes vorbereitet zu sein.

Regierungsrat für sicheren Weiterbetrieb der KKW

Unabhängig vom vorliegenden Vorstoss, begrüsse der Regierungsrat einen sicheren Weiterbetrieb der KKW im Rahmen einer Laufzeitverlängerung. Aufgrund der oben beschriebenen Kompetenzverteilung sei eine Motion kein mögliches Instrument, um das Anliegen auf kantonaler Ebene aufzunehmen. Erst nachdem der Bund die Erlassänderung durchgeführt hat, stelle sich subsidiär für den Kanton die Frage nach dem weiteren Vorgehen. Der Regierungsrat lehnt daher die Motion ab.

So läuft die Debatte: SVP will Prozess beschleunigen

Pascal Furer (SVP) erläutert nun die Motion. Grossraftwerke seien unumgänglich, wie der kürzliche Blackout in Spanien eindrücklich gezeigt habe. Der Stromverbrauch steige zudem künftig massiv an, etwa aufgrund neuer Rechenzentren. Es brauche genug verlässliche Bandenergie. Ohne Kernenergie sei das undenkbar, man wolle nämlich keine CO2-Schleudern. Der Bau eines neunen KKW dauere sechs Jahre. Furer stört, dass der Regierungsrat den Prozess auf Bundesebene nur beobachten will. Er solle sich aktiv einbringen, fordert Furer.

Er will den Motionstext so ergänzen, dass der Regierungsrat aufgefordert wird, alles in seiner Kompetenz liegende zu tun. So gebe es keinen Grund mehr für die Ablehnung durch die Regierung, so Furer.

GLP: Wer auf AKW setzt, will im Grunde Energiestrategie sabotieren

Für die GLP weist jetzt Gian von Planta den Vorstoss zurück. Dieser gaukle eine Lösung vor, die es nicht gebe: "Wer auf AKW setzt, will im Grunde die Energiestrategie sabotieren". Bis 2050 werde es in der Schweiz kein neues KKW geben, in sechs Jahren (wie Pascal Furer sagte) werde sowieso keins gebaut. Es gebe keinen Business Case für ein neues CH-AKW. Der Gestehungspreis in einem neuem AKW betrage 10, realistischerweise gar eher 15 Rappen, so von Planta. Es brauche mehr PV, mehr Pumpspeicherseen und ein Stromabkommen mit Europa.

Gian von Planta: "Es gibt keinen Business Case für ein neues AKW".

Grüne: Neubauverbot gilt

Ähnlich tönt es bei Andreas Fischer-Bargetzi von den Grünen. Eigentlich reiche ein Satz aus der Antwort des Regierungsrats. Die Bundesverfassung regle, dass einzig der Bund für die Nutzung der Kernenergie zuständig ist. Projekte in anderen Ländern seien Milliardengräber. Das Neubauverbot gelte. Heute sei aber offenbar der Tag der unnützen Vorstösse. Man könne zudem mit der Energiewende keinesfalls so lange warten. "Auf Luftschlösser zu hoffen, verbraucht nur unnötig Zeit und Energie."

Als nächster spricht für die EVP Lutz Fischer. Es sei so, niemand wolle in der Schweiz ein KKW bauen, niemand ein solches finanzieren. Man lehne den Vorstoss ab.

Mitte folgt dem Regierungsrat

Die Mitte erachtet Technologieoffenheit als wichtiges Mittel zum Zweck, so Fraktionschef Alfons Paul Kaufmann. Es sei auch richtig, die Kernenergie bei der Überarbeitung der Unterlagen des Bundes zu berücksichtigen. Man folge jedoch den fundierten Argumenten des Regierungsrats und lehne den Vorstoss ab, man würde damit nur unnütz Ressourcen einsetzen. Sobald vom Bund entsprechende Unterlagen vorliegen, werde man sich aber auf jeden Fall damit auseinandersetzen.

SP: "Wenn du merkst, dass du ein totes Pferd reitest, steige ab"

Für die SP spricht jetzt Martin Brügger. Die Dakota-Indianer sagen: "Wenn du merkst, dass du ein totes Pferd reitest, steige ab", leitet er seine Rede ein. Er verweist auf die Regierungsargumentation. Ein AKW inklusive Entsorgung sei einfach nicht finanzierbar. Finnland habe mit einem neuen AKW 13 Jahre Verspätung und dreimal höhere Kosten. Brügger: "Die Risiken bleiben."

FDP unterstützt SVP-Motion

Schliesslich spricht Adrian Meier (FDP): Eine Strommangellage sei eins der grössten Risiken in der Schweiz. Das Schadenspotenzial wäre gewaltig, warnt er. Die FDP will daher die absehbare Winterstromlücke schliessen. Dazu gehöre nebst Wasserkraft auch die Kernenergie. Die erneuerbaren Energien würden massiv subventioniert. Der Ausbau von Solar- und Windenergie führe gar zu negativen Strompreisen.

Adrian Meier: "Wir müssen den Strommangel im Winter mit einem Anteil Bandenergie minimieren".

Wenn man von links sage, niemand wolle ein KKW finanzieren, "warum wehren sich denn SP und Grüne gegen die Aufhebung des Verbots?", fragt Meier. Die FDP stimme der Motion mit der Textänderung von Pascal Furer zu.

Nun wird es sehr spannend: SVP, FDP und EDU haben eine knappe Mehrheit im Grossen Rat.

Attiger: können nicht Bundesrecht übersteuern, aber Winterstromlücke besteht

Nach mehreren Einzelrednern spricht als letzter Bau- und Energiedirektor Stephan Attiger. Er erläutert nochmals die ablehnenden Gründe des Regierungsrats zur Motion. Der Regierungsrat habe die geänderte Formulierung von Pascal Furer nicht gehabt, so könne er zur Änderung auch nicht für den Regierungsrat Stellung nehmen. Der Regierungsrat könne Bundesrecht aber nicht übersteuern, man unterliege hier Bundesrecht.

Stephan Attiger zu Möglichkeiten für die Überbrückung von Engpässen: "Kurzfristig sehen wir hier nur Gaskraftwerke".

Die Winterstromlücke sei ungelöst, sagt Attiger. Nach heutigem Stand erreiche man das Winterziel nicht. Der Regierungsrat sei technologieneutral, er sei für Reservekraftwerke: "Kurzfristig sehen wir hier nur Gaskraftwerke". Langfristig wolle man auch bezüglich Kernenergie offen sein. Wenn der Bund langfristig auf Kernenergie setzen sollte, wäre der Aargau ein guter Standort.

Es folgte die Abstimmung. Der Rat stimmte mit den Stimmen von SVP, FDP und EDU mit 72 : 63 Stimmen für die geänderte Motion.

72 : 63 Stimmen für den Vorstoss.

Noch ein Kernenergievorstoss - Regierung soll technologieoffen sein

Im Anschluss wird ein FDP-Postulat (Sprecher, Adrian Meier, Menziken) verhandelt. Der Regierungsrat soll aufgefordert werden, sich bei der für 2025 geplanten Bundesvernehmlassung zum Ausstieg aus dem KKW-Ausstieg technologieoffen zu äussern.

Der Regierungsrat ist bereit, den Vorstoss unter gleichzeitiger Abschreibung entgegen zu nehmen. Nach einer kurzen Debatte mit fast denselben Fronten wie bei der eben gutgeheissenen Motion, wird das Postulat mit 75 : 49 überwiesen und gleichzeitig abgeschrieben, da der Regierungsrat ja - wie sich auch in der vorherigen Debatte gezeigt hat - genau in diese Richtung agiert.