Erhoffter Rückgang bei Flüchtlingen traf noch nicht ein, Unterbringung schwierig

Erhoffter Rückgang bei Flüchtlingen traf noch nicht ein, Unterbringung schwierig
Gemeindeschreiberpräsident Michael Widmer bei seiner Ansprache im "Tägi" in Wettingen. Foto: MKU

Präsident Michael Widmer begrüsste in Wettingen zahlreiche Gemeindeschreiberinnen und -schreiber zu ihrer 122. Generalversammlung. Er bekam zwei neue Vorstandsmitglieder. Für den zurückgetretenen Daniel Müller wurde neu Dunja Cortellezzi (Gemeindeschreiberin Böttstein) gewählt, als Ersatz für Marius Fricker ist jetzt Edoardo Carrico (Gemeindeschreiber Hellikon) Vorstandsmitglied.

Alle hätten gehofft, dass der Zustrom an Flüchtlingen wieder zurückgehen werde, sagte Widmer in seiner Ansprache. Das sei bis jetzt nicht eingetroffen. Der kantonale Sozialdienst und die Gemeinden schauten weiter nach geeigneten Unterkünften. Wenn immer möglich sollen Flüchtlinge in Wohnungen und Häusern einquartiert werden, und nicht in unterirdischen Anlagen. Weil die Lage aber derart angespannt sei, müsse man auch auf solche Unterkünfte ausweichen. Praktisch alle Aargauer Gemeinden erfüllten die hohe Aufnahmepflicht, betonte Widmer, "und das trotz angespannter Lage".

Eine Task Force befasst sich mit dem auch in den Gemeinden stark spürbaren Fachkräftemangel. Empfehlungen umfassen zum Beispiel eine Aus- und Weiterbildungsoffensive, Empfehlungen wie man sich als attraktiver Arbeitgeber positionieren kann, bis hin zu Ideen für eine gute Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Ein Mittel gegen den Fachkräftemangel sei zudem die Ausbildung eigener Lehrlinge.

Landstatthalter Dieter Egli vor den Gemeindeschreiberinnen und -schreibern.

Dieter Egli: Gemeindestrukturen immer wieder ein Thema

Er sei gern hier, machte Landstatthalter Dieter Egli, dessen Departement für die Gemeinden zuständig ist, zu Beginn seines Referats deutlich. Das Nein des Grossen Rates zur vom Regierungsrat vorgeschlagenen Einheitspolizei bedauert Egli offenkundig. Jetzt habe man aber einen klaren Auftrag, mit dem dualen System mit Kantons- und Regionalpolizei weiterzufahren, und die erkannten Schwachstellen anzugehen. Das werde er zusammen mit den Gemeinden selbstverständlich tun, so Egli weiter. Man habe indes zu wenig Polizeikräfte, so Egli.

Gemeindegesetz: keine Revolution, eher Justierungen

Auch weitere wichtige Projekte betreffen die Gemeinden, etwa die Totalrevision des Gemeindegesetzes. Quintessenz der bisherigen Arbeiten sei, dass es wahrscheinlich keine revolutionären Änderungen brauche, so Egli. Es gehe wohl eher um eine Nachführung, um Justierungen der Bestimmungen. Es hätten sich aber Fragen ergeben. Etwa zur Qualität der Dienstleistungen, zur Partizipation in der Gemeindeversammlung, aber auch bei Gemeinden mit Einwohnerrat. Da gehe es um die Rollenverteilung zwischen Exekutive und Legislative.

Externer Bericht zu Gemeindestrukturen bis im Herbst

Im Grossen Rat liegt ein Vorstoss vor, dessen Urheber bei dieser Gelegenheit auch die Gemeindestrukturen diskutieren wollen. Also auch etwa, wie viele und wie grosse Gemeinden man will, und ob diese noch dem aktuellen Funktionsraum der Menschen entsprechen. Er wisse, dass es hier sehr emotional werden könne, sagte Egli weiter. Aufgrund eines Auftrags des Grossen Rates nimmt die Regierung das Thema auf.

Sie hat als Basis für die weitere Diskussion einen externen Bericht in Auftrag gegeben, der im Herbst fertig werden soll. Er soll eine Analyse und Einschätzung vorlegen, so der Landstatthalter, welche Anforderungen an die Gemeinden man ändern könnte, falls man das wolle. Er äussere sich sehr vorsichtig, meinte Egli weiter. Es gebe dazu sehr viele unterschiedliche Positionen und Meinungen. "Auch hier könnte es emotional werden."

Danach will die Regierung beurteilen, ob man die Frage der Gemeindestrukturen mit der Revision des Gemeindegesetzes verbinden kann oder ob man auf zwei Geleisen fahren soll.

Für Egli ist aber klar: "Der Regierungsrat wird die Gemeindestruktur nur dann zum Thema machen, wenn der Grosse Rat und die Mehrheit der Gemeinden das auch wirklich wollen."

Gemeindefusion: Das Beispiel Glarus

Per 2011, also vor 13 Jahren, schmolzen die 25 Glarner Gemeinden auf drei zusammen. Seither gibt es Glarus Nord, Glarus und Glarus Süd. Das war so an einer aufsehenerregenden Landsgemeinde im Jahr 2006 beschlossen worden. Christian Marti war viele Jahre Gemeindepräsident von Glarus. Heute leitet er die Standortförderung Glarus-Süd und ist Landrat.

Christian Marti referiert über den Fusionsprozess im Kanton Glarus.

Marti machte vor den Gemeindeschreiberinnen und -schreibern grad klar, er sei nicht hier, um Gemeindefusionen als Allerweltsheilmittel zu verkaufen. Für sie im Glarnerland habe es aber so gepasst. Was aber hat die radikale Gemeinderefom in Glarus ausgelöst? Jahre zuvor stellte man einen starken Bevölkerungsrückgang fest, wirtschaftliche Stagnation, Gemeinden hatten ein grosses Rekrutierungsproblem, gleichzeitig wuchsen die Ansprüche der Bevölkerung.

Schliesslich wurde eine Projektgruppe ins Leben gerufen. Es wurden Alternativen zu Fusionen geprüft, etwa die Übertragung von Gemeindeaufgaben an den Kanton. Es zeigte sich aber, dass eine verstärkte Zusammenarbeit unter den Gemeinden Grenzen hat, so Marti.

Projektgruppe empfahl radikale Reduktion

Schliesslich empfahl die große Mehrheit der Projektgruppe eine massive Reduktion der Gemeindezahl. Wie kam das zum Klappen? "Es müssen sich alle bewegen, niemand darf geschont werden", das sei das ausschlaggebende Argument für die massive Reduktion der Anzahl Gemeinden an der Landsgemeinde auf noch 3 gewesen, sagte Marti rückblickend. Danach schuf man faire Regeln für die Umsetzung.

Wichtig war damals, dass es nicht zu Eingemeindungen der kleinen Gemeinden kam, sondern zu einer Verschmelzung, betonte Marti. Geachtet wurde dabei etwa auf eine aktive Mitgestaltung durch die Bevölkerung (Name, Wappen, Gemeindeordnung, usw.). Viel zu reden gab damals, so der Referent weiter, dass das bisherige Bürgerrecht durch das Bürgerrecht der Fusionsgemeinde abgelöst wurde. Marti beobachtet, dass die neuen Gemeinden "auf der starken Basis bisheriger Traditionen eine eigene neue Identität entwickeln".

Fusionen lösen nicht alle Probleme

Fusionen lösen aber nicht alle Probleme, so Marti weiter. Die Anonymisierung nehme zu, die Erwartungshaltung der Bevölkerung sei gestiegen. Probleme (die es schon früher gab) würden rasch der Fusion zugeordnet. Partizipation und persönliches Engagement nehmen ab. Es gebe aber auch neue Probleme, etwa Betroffenheitspolitik und Mobilisierung.

Aber die Gemeinden haben an Autonomie gewonnen. Gemeint sind selbständige Aufgabenerfüllung und ein hohes Mass an Eigenständigkeit. Auch sei ein grosser politischer und finanzieller Spielraum da, die Exekutivämter seien begehrt. Und es gebe eine grossräumigere und zielorientierte Nutzungsplanung. Dazu komme eine aktive Standortentwicklung zusammen mit dem Kanton, so Marti.

Soll man in einem kleinen Kanton auf die Gemeindeebene überhaupt verzichten?, wollte Michael Widmer von Marti in einem auf den Vortrag folgenden Gespräch wissen. Das sei in Glarus damals breit diskutiert worden, antwortete Marti. Einen solchen Antrag habe es an der Landsgemeinde sogar gegeben. Das wurde aber verworfen. Man wollte die Gemeindeebene behalten, antwortete Marti.

Findet man jetzt besser Leute für die Gemeinde?

Findet man jetzt besser Leute für die grösseren Gemeinden?, bohrte Widmer nach. Es gebe bei politischen Wahlen eine Auswahl, war die Antwort. Eine andere Frage sei die einer anständigen Entschädigung. Der Fachkräftemangel etwa in der Bildung treffe Glarus wie andere auch.

Würden die Glarner heute nochmals für drei Gemeinden stimmen?, wollte Widmer abschliessend wissen. Sie hätten ja 2007 ein zweites Mal abgestimmt, da sei der Entscheid klar gewesen, so Marti. Er ist überzeugt, dass sie wieder ja sagen würden. Vielleicht, so der Referent einschränkend, hätte heute aber aufgrund der Erfahrungen mit der äusserst weit gehenden Reform ein Modell mit zehn Gemeinden (wie es damals auch vorgeschlagen worden war) vielleicht mehr Chancen als damals.