Dozentin mit Hijab: Martina Bircher hat der FHNW ihr Unbehagen bereits vor einiger Zeit kundgetan

Dozentin mit Hijab: Martina Bircher hat der FHNW ihr Unbehagen bereits vor einiger Zeit kundgetan
Interpellant Roland Haldimann. Foto: Michael Küng

In einer Interpellation stellten Roland Haldimann, EDU, Oberentfelden (Sprecher) und Nicole Burger, SVP, Aarau, der Regierung Fragen zu einer Dozentin mit Hijab an der FHNW.

Jetzt liegt die Antwort der rRgierung vor: Sie schickt voraus, das Tragen eines Hijabs an einer öffentlichen Institution stehe im Spannungsfeld zwischen zwei Grundwerten mit Verfassungsrang: Einerseits der Religionsfreiheit und andererseits der Gleichberechtigung von Frau und Mann. Das Tragen religiös begründeter Kleidung sei durch die Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft (BV) ausdrücklich geschützt. Art. 15 BV gewährleistet die Glaubens- und Gewissensfreiheit und gibt jeder Person das Recht, ihre Religion und ihre weltanschauliche Überzeugung frei zu wählen und zu bekennen.

Kein gesetzliches Kopftuch- oder Hijab-Verbot

In der Schweiz besteghe weder ein gesetzliches Kopftuch- oder Hijab-Verbot noch kennt eine Hochschule ein entsprechendes Verbot für Dozentinnen. Gleichzeitig garantiert Art. 8 Abs. 3 BV die Gleichberechtigung von Frau und Mann. Vor diesem Hintergrund sei zu berücksichtigen, so die Regierung weiter, "dass der Hijab keine einheitliche Bedeutung aufweist. Er kann Ausdruck religiöser Pflicht, persönlicher Frömmigkeit, sozialer Zugehörigkeit oder einer politisch-ideologischen Haltung sein. Während aus dem Tragen eines Hijabs allein keine politische oder ideologische Aussage abgeleitet werden kann, ist ebenso festzuhalten, dass der Hijab von Teilen des politischen Islam, namentlich durch die Muslimbruderschaft, als Symbol eines patriarchalisch begründeten Rollenverständnisses propagiert wird und in verschiedenen Staaten den Frauen gesetzlich vorgeschrieben ist".

Doch was hält der Regierungsrats davon, dass an der FHNW eine Dozentin angestellt ist, welche während dem Unterricht den Hijab trägt?, wollten Roland Haldimann und Nicole Burger wissen. " Der Regierungsrat verweist auf die beiden verfassungsmässigen Grundrechte gemäss Vorbemerkung. Diese sind im konkreten Einzelfall sorgfältig gegeneinander abzuwägen (vgl. nachfolgende Antworten).

Wie die institutionelle und wissenschaftliche Neutralität durch eine Dozentin mit Kopftuch gewährleisten?

Zur Frage "Hat der Regierungsrat seine Haltung zu dieser Angelegenheit den verantwortlichen Gremien der FHNW bereits mitgeteilt? Falls ja: Was waren die Hauptargumente? Falls nein: Warum nicht? Gedenkt der Regierungsrat, dies noch zu tun?", antwortet die Regierung: Die Anstellung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern liegt in der Kompetenz der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW). Die Vorsteherin des Departements Bildung, Kultur und Sport hat den Verantwortlichen der FHNW sowie der Pädagogischen Hochschule FHNW (PH FHNW) ihr Unbehagen in dieser Frage bereits vor einiger Zeit mitgeteilt. Sie hat dabei insbesondere thematisiert, wie die institutionelle und wissenschaftliche Neutralität durch eine Dozentin mit Kopftuch gewährleistet werden kann.

Zur Frage "Welche Möglichkeiten hat der Regierungsrat und der Grossrat, um auf gesetzlichem Weg ein Verbot des Hijabs bei Unterrichtspersonen von staatlichen Einrichtungen zu erwirken?" Die Frage zielt auf die rechtliche Thematik der Einschränkung von Grundrechten, antwortet dazu die Regierung. Betroffen seien in der geschilderten Ausgangslage im Wesentlichen die verfassungsmässig garantierten Grundrechte der persönlichen Freiheit (Art. 10 BV1 ; § 15 Verfassung des Kantons Aargau [Kantonsverfassung, KV]) und der Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 15 BV; § 11 KV).

Grundrechte dürfen eingeschränkt werden, soweit das Bundesrecht oder die Kantonsverfassung es zulassen (§ 8 KV). Art. 36 BV normiert, unter welchen Voraussetzungen Grundrechte eingeschränkt werden dürfen. Lehrerinnen und Lehrer sind als Angestellte im Rahmen des jeweiligen öffentlichen Dienstrechts weisungsgebunden und befinden sich so auch in einem so genannten Sonderstatusverhältnis, was in Bezug auf das Erfordernis der gesetzlichen Grundlage zur Einschränkung von Grundrechten zu weniger grossen Hürden führt als gegenüber anderen Personen.

Schulordnungen können Kleidervorschriften festlegen - auch FHNW kann das

Demgemäss können Schulen beispielsweise in ihren Schulordnungen Kleidervorschriften festlegen. Zu beachten gelte es, dass in diesem Fall aber auch die übrigen Voraussetzungen (öffentliches Interesse, Verhältnismässigkeit) erfüllt sein müssen. Die FHNW ist eine interkantonale öffentlich-rechtliche Anstalt mit eigener Rechtspersönlichkeit und mit dem Recht auf Selbstverwaltung im Rahmen des einschlägigen Staatsvertrags und des entsprechenden Leistungsauftrags. Auch sie kann im Rahmen des Anstaltsrechts Kleiderordnungen festlegen. Diese haben aber ebenfalls einem öffentlichen Interesse zu entsprechen und dem Verhältnismässigkeitsgrunds Genüge zu tun.

Verbot der Verhüllung des eigenen Gesichts steht hier nicht zur Diskussion

Wollten die Trägerkantone der FHNW vorschreiben, spezifische Kleidervorschriften aufzustellen, müsste dies im Rahmen der jeweiligen politischen Verfahren (Leistungsauftrag, Staatsvertrag) geschehen. 1 Art. 10a BV (Verbot der Verhüllung des eigenen Gesichts) steht hier nicht zur Diskussion.

Welchen Stellenwert hat die religiöse Neutralität der öffentlichen Schulen für den Regierungsrat?

Zur Frage "Welchen Stellenwert hat die religiöse Neutralität der öffentlichen Schulen für den Regierungsrat?", fragen Haldimann und Burger weiter. Der Regierungsrat misst in seiner Antwort der politischen und religiösen Neutralität der öffentlichen Schulen grosse Bedeutung zu. Diese sei sowohl im geltenden als auch im künftigen Schulrecht ausdrücklich verankert. Das Neutralitätsgebot schliesst aber die Auseinandersetzung mit Religionen und das Erleben kulturell und religiös geprägter Traditionen nicht aus. Vielmehr ist die Schule angehalten, im Rahmen ihres Bildungs- und Integrationsauftrags solche Inhalte alters- und stufengerecht zu thematisieren. Entscheidend ist dabei, dass keine religiöse oder politische Einflussnahme stattfindet. Gleichwohl ist es dem Regierungsrat wichtig zu betonen, dass ebenso die Schweizer Kultur in den Schulen gelebt werden soll und muss, wozu auch die christlichen Feiertage wie Weihnachten zählen.

Zur Frage "Teilt der Regierungsrat die Ansicht, dass durch das Tragen eines Hijabs der Eindruck entstehen könnte, dass die betreffende Lehrperson nicht allen Religionen gegenüber neutral eingestellt sein könnte und damit kaum Gewähr bieten kann für einen wertfreien Unterricht, gerade in dem von ihr bedienten Bereich der Gesellschaftswissenschaften, wo es offenbar um das Zusammenleben von Menschen in Gemeinschaften geht?" antwortet die Regierung wiefolgt:

Tragen im Unterricht kann Unparteilichkeit und Vorbildfunktion der Dozentin beeinträchtigen

Das Tragen eines Hijabs für sich allein erlaube keine Rückschlüsse auf die Einstellung einer Dozentin gegenüber anderen Religionen und ob diese Einstellung sie an einer neutralen, wertfreien Wissens der Dozierenden zu einer sachlich fundierten und weltanschaulich neutralen Lehre. Dennoch könne das Tragen im Unterricht die Unparteilichkeit und die Vorbildfunktion der Dozentin beeinträchtigen, insbesondere in Fächern, die das gesellschaftliche Zusammenleben, Wertefragen und die Gleichberechtigung von Frau und Mann betreffen. In solchen Kontexten bestehe die Gefahr, dass bei Studentinnen und Studenten der Eindruck einer Parteilichkeit entsteht oder dass die Gleichstellung der Geschlechter und damit der emanzipatorische Auftrag des öffentlichen Bildungswesens infrage gestellt wird, zumal das Kopftuch – auch unbeabsichtigt – als missionarisches Signal wirken und eine Praxis legitimieren könnte, die dem emanzipatorischen Auftrag des öffentlichen Bildungswesens widerspricht.

Zur Frage "Welche Massnahmen ergreift der Regierungsrat, um die religiöse Neutralität des Staates auch an der FHNW durchzusetzen?", schreibt die Regierung:

Die FHNW ist eine gemeinsame Institution der Trägerkantone Aargau, Basel-Landschaft, BaselStadt und Solothurn. Die Rechtsgrundlagen für ihre Organisation und Steuerung bilden der interkantonale Staatsvertrag über die Fachhochschule Nordwestschweiz sowie, für den Kanton Aargau, das Gesetz über die Hochschul- und Innovationsförderung (Hochschul- und Innovationsförderungsgesetz, HIG). Gestützt auf diese Regelwerke verfügt die FHNW über eigene Rechtspersönlichkeit und umfassende Autonomie in personellen, organisatorischen und betrieblichen Belangen.

Der Regierungsrat nimmt im Rahmen der Trägerschaft eine strategisch-politische Steuerungsfunktion wahr, hat jedoch keine Möglichkeit, in Einzelfragen des operativen Hochschulbetriebs – wie etwa bei der Bekleidung einzelner Dozierender – einzugreifen. Weder der FHNW-Staatsvertrag noch das HIG sehen eine gesetzliche Grundlage vor, um das Tragen religiöser Symbole durch Hochschulpersonal generell zu verbieten.