Aargauischer Grosser Rat entscheidet nach intensiver und emotionaler Debatte für Bezahlkarte für Asylbewerber

Aargauischer Grosser Rat  entscheidet nach intensiver und emotionaler Debatte für Bezahlkarte für Asylbewerber
Adrian Schopp vertrat die Motion von FDP und SVP. Foto: Michael Küng

Nun geht es um das in der heutigen Sitzung womöglich unstrittenste Geschäft, nämlich um eine Motion der Fraktionen FDP und SVP (Sprecher Adrian Schoop (FDP) für die Einführung einer Bezahlkarte für Asylbewerber. Die Regierung lehnt die Motion ab, wäre aber bereit, das Anliegen als Postulat zur Prüfung entgegen zu nehmen.

Konkret will Schoop den Regierungsrat beauftragen, die gesetzlichen Grundlagen zu schaffen, um staatliche Unterstützungsleistungen für Personen aus dem Asylbereich (Asylsuchende im Verfahren, vorläufig aufgenommene Ausländer und Schutzbedürftige S) künftig über eine personalisierte Bezahlkarte auszuzahlen.

In den letzten Monaten seien in den Kantonen Bern, Basel-Landschaft, Luzern, Nidwalden, Schwyz, Zug und Zürich ähnliche politische Vorstösse von den Kantonsparlamenten überwiesen worden, schreibt Schoop. Seit der Grosse Rat die Überweisung der Motion 24.61 zur Einführung einer Bezahlkarte im Kanton Aargau am 27. August 2024 äusserst knapp mit 69 zu 68 Stimmen ablehnte, laufe das Asylwesen weiter aus dem Ruder, begrünet er seinen Vorstoss.

In einem Interview Anfang 2025 führte Regierungsrat Jean-Pierre Gallati aus, dass die Zahlen eine Überlastung des Systems klar zeigen, so Schoop. Die Asylmigration steuern kann im Grundsatz nur der Bund. Dies entbindet die Kantone indes nicht von ihrer Aufgabe, Missbrauch im System entschieden zu begegnen, wenn sie dazu über die gesetzlichen Grundlagen verfügen oder diese schaffen können. Mit personalisierten Bezahlkarten anstelle von Bargeldauszahlungen wird verhindert, dass Unterstützungsleistungen an Personen aus dem Asylbereich nicht an Schlepper weitergereicht werden können oder an Angehörige im Herkunftsland fliessen.

FDP einstimmig für die Bezahlkarte

Netzwerk Asyl verteilte vor dem Grossratsgebäude Flyer gegen die Bezahlkarte.

Schoop spricht jetzt im Rat namens der einstimmigen FDP. Es gehe nicht um Kürzung der Leistungen, sondern um eine Änderung der Auszahlungsmodalitäten, betont Schoop. Es soll eine Bezahlkarte in Form einer Prepaidkarte geschaffen werde. Die FDP besteht auf der Form einer verbindlichen Motion. Es soll verhindert werden, dass Geld nach hause geschickt werden kann. Es gebe nationale Anbieter solcher Karten ohne Kontoverbindung. Das Bürokratieargument ziehe hier nicht. Man wolle allen helfen, die in ihrem Heimatland wirklich an Leib und Leben gefährdet sind. Diese können sich aber mit einer Bezahlkarte arrangieren, ist Schoop überzeugt.

GLP klar gegen Bezahlkarte

Für die GLP spricht jetzt Lukas Huber. "Plastik statt Politik". Sie verkaufe eine Scheinlösung für ein Scheinproblem. Es gebe keine Hinweise für Missbrauch, sagt er. Die Bezahlkarte sei bürokratisch, Sie bringe Ausgrenzung und Stigmatisierung statt Integration, protestiert er. Die Motion sei zudem "antiliberal bis ins Grab". Sie stehe im Widerspruch zu allem, was sich liberale Parteien auf die Fahne schreiben. Huber erhält Applaus und Bravorufe von SP, Grünen und GLP-Abgeordneten. Ratspräsident Gabriel ruft zur Ordnung, Applaus sei hier nicht üblich.

Therese Dietiker, Sprecherin der EVP. Foto: Michael Küng

Auch EVP sagt klar Nein

Therese Dietiker (EVP) wehrt sich ebenfalls gegen die Bezahlkarte. Es brauche Handlungsfreiheit, die man den eigenen Bürgerinnen und Brgern nur selten abspreche. Sie wehrt sich auch gegen eine "Zweiklassengesellschaft". Das sei einer freiheitlichen Gesellschaft unwürdig, so Dietiker. Missbrauch könne man mit der Bezahlkarte zudem nicht verhindern. Weil Asylbewerbende so wenig Geld bekommen, rechne sich die Karte zudem überhaupt nicht. Sie würde ja allein eine halbe Million Franken kosten.

Andre Rotzetter spricht namens der Mitte. Foto: Michael Küng

Mitte grossmehrheitlich für Postulat, gegen Motion

Nun spricht Andre Rotzetter namens der Mitte. Diese sei grossmehrheitlich für ein Postulat, aber gegen die Motion. Mit einem Postulat könnte man die Sache sauber abklären, wirbt er. Mit 310 Franken könne man ja kaum Missbrauch treiben. Es gebe Überweisungen ins Ausland, die kämen aber von einer Arbeit, von zusätzlichem Geld, nicht von der Zahlung des Kantons.

SVP klar für die Bezahlkarte

Mario Gratwohl spricht nun für die SVP. Die Haltung der mehrheitlich bürgerlichen Regierung sei aus ihrer Sicht nicht zielführend, sagt er. Die Karte sei zweckgebunden und transparent. Auslandüberweisungen und Onlinekäufe, auch illegale Zwecke, würden so verhindert, sagt er. Andere europäische Länder zeigten, dass dies technisch machbar sei.

Maurus Kaufmann vertritt das klare Nein der Grünen. Foto: Michael Küng

Grüne sagen klar Nein

Maurus Kaufmann (Grüne) sagt nun, Überweisungen ins Herkunftsland aus diesen Ge0ldern - eines Taschengelds - seien unrealistisch. Finanzdienstleister wären die einzigen gewinner der bezahlkarte, sagt er. Brockenstuben zum beipiel hätten selten die Möglichkeit, so eione Karte in Zahlung zu nehmen. Die Grüen sagen klar Nein.

Auch SP klar gegen Bezahlkarte

Lea Schmidmeister (SP) wehrt sich ebenfalls gegen die Bezahlkarte. Die 10 Franken pro Tag reichten kaum. Also 320 Franken im Monat, über die sie nicht mehr frei verfolgen können sollen, kritisiert sie. So würde man die betroffenen in vielen alltäglichen Situationen einschränken. Kein Flohmarkt mehr für sie? Das Argument mit dem geld nach hause schicken sei fadenscheinig. "Ihr seid eigentlich die Armen, Euch fehlt es an Verstand", wirft sie den Befürwortern an den Kopf.

Greift SVP und FDP frontal an: Harry Lütolf (Mitte). Foto: Michael Küng

SVP/EDU und FDP haben knappe Mehrheit - setzen sie sich durch?

Nun sprechen noch Einzelvotanten. SP-Grossrat Rolf Schmid kritisiert bürgerliche "Schaumschlägerpolitik", verlangt "Anstand und ein bisschen Respekt". Er empfiehlt, einen Blick nach Deutschland zu werfen. Dort sehe man, wie man (mit der Bezahlkarte) Steigbügelhalter für Rechte werde. Nach ihm spricht Harry Lütolf (Mitte). Lütolf erinnert daran, dass so eine Motion im August 2024 grossmehrheitlich abgelehnt worden ist. Jetzt wieder genau das gleiche. Das sei schon der zweite Vorstoss, in dem ein Nein des Rates nicht akzeptiert und damit die Spielregeln nicht eingehalten würden. Demokratisch gefällte Entscheide seien zu akzeptieren. "Wenn Ihr in der nächsten Legislatur die Mehrheit verloren habt, machen wir das auch, Ihr zwingt mich dazu", so Lütolf.

Nach ihm spricht FDP-Fraktionspräsident Silvan Hilfiker. Er mahnt zurück zur Sachlichkeit zu kommen. Es gehe doch darum, ob man im 21. Jahrhundert Bargeld auszahlen wolle. Nun höre er, dass man diese karte nirgendwo einsetzen könne. Das sei in der ganzen Schweiz möglich. Er fragt: "Warum soll das bei Asylsuchenden nicht gehen?" Daniele Mezzi (Mitte) sagt nun, ihn irritiere das grosse Polizeiaufgebot, weil eine Gruppe Leute vor dem Gebäude Flyer verteilt haben. Er versteht das nicht. Er sei aber für die Bezahlkarte, sagt er. Sie schaffe Ordnung, Transparenz und Effizienz. In Deutschland funktioniere es.

Lukas Pfisterer entgegnet Harry Lütolf. Foto: Michael Küng

Schliesslich spricht noch Lukas Pfisterer (FDP): Man könne sehr wohl abgelehnte Vorstösse und Volksentscheide wieder bringen. Er erinnert an die Konzernverantwortungsinitiative. Wenn man Harry Lütolfs Votum zum Wortlaut nehme, 2hätten wir heute noch kein Frauenstimmrecht", so Pfisterer weiter. Nach ihm spricht nochmals Rolf Schmid. Für das Polizeiaufgebot sei die SP nicht verantwortlich, betont er. Es sei überdimensioniert, protestiert er.

Freiermuth mahnt Respekt vor anderen Meinungen an

Letztlich spricht auch noch Sabina Freiermuth (FDP). Sie könne akzeptieren, was Rolf Schmid gerade gesagt habe. Sie verweist aber schon auf die "Tonalität der Voten". Das mache ihr ein bisschen Sorge, sagt sie. Sie lädt ein, Wieder auf den Boden des Respekts gegenüber anderen Meinungen zurückzukommen". Nun kommt auch noch Adrian Schoop nochmals. Worum geht es, fragt er. Es gehe um Asylbewerber, um Abgewiesene und Personen ohne Aufenthaltsberechtigung. Es gehe nicht um anerkannte Flüchtlinge. Es gehe auch nicht um eine Leistungskürzung. Laut einem Bundesratsbericht gebe es nebst den 9 Fr. pro Tag eine voll möblierte 3,5 Zimmer-Wohnung, WLAN, kostenlos Windeln für Babies, auch Kurse würden bezahlt und weitere Leistungen, auch für Personen, die noch im Verfahren sind, so Schoop weiter.

Nun noch Hanspeter Budmiger (GLP). Auch er sorge sich, sagt er zu Sabina Freiermuth. Wenn man Behördengänge nur noch mit Bezahlkarte machen könnte, gäbe es doch auch Proteste Bürgerlicher, gibt Budmiger zu bedenken. Er sorgt sich zudem, dass das teure Bezahlsystem nutzlos sein werde. Er wird die Motion ablehnen, ebenso das Postulat. Nun spricht noch Uriel Seibert (EVP). Die Art der Auszahlung sei relevant, sagt er. Das müsse man sich gut überlegen, mahnt er. Er macht sich keine Illusionen, der Vorstoss werde überwiesen. Er ruft SVP/FDP aber bereits auf, dann auch bereit für einen Überprüfungsprozess zu sein. Nun spricht noch Rita Brem (Mitte). Als Sozialvorsteherin in ihrer Gemeinde wolle sie die Leute physisch sehen und wolle wissen, wie es ihnen geht. Sie sei unbedingt für den persönlichen Kontakt zu den Asylbewerbern.

Regierungsrat Jean-Pierre Gallati vertritt die Position des Regierungsrates. Foto: Michael Küng

Als letzter spricht Sozialvorsteher Jean-Pierre Gallati namens des Regierungsrats. Zu Adrian Schoop sagt er, der Regierungsrat würde dem Rat keine Ratschläge erteilen, aber er habe einen Antrag gestellt. An diesem halte er fest. Der Bundesratsbericht sei drei Wochen nach der Regierungsantwort publiziert worden. Die Kantone seien für die Bezahlkarte zuständig, sagt er weiter. Zu Grossrat Gratwohl sagt er, bargeldloser Zahlungsverkehr sei sonst nicht der Wunsch der bürgerlichen Parteien. Es sei auch im Sinne der aargauischen Bankenwelt, dass man Bargeld nutze, vermutet er.

Als Kanton, erinnert er, sei man im Asylbereich in einer Notlage. Er dankt allen Helferinnen und Helfern. Die Bezahlkarte bringe aber keine nachweisbare Verbesserung, die Lebensrealität der Betroffenen würde eingeschränkt, sagt Gallati weiter. Der Regierungsrat würde eine Gesetzesrevision einleiten, falls die rechtlichen Abklärungen positiv ausfallen sollten. Er will aber erst abklären, deshalb wolle die Regierung nur ein Postulat.

Nun wird sich zeigen, ob sich SVP und FDP (die eine knappe Mehrheit im Rat haben) in dieser hochumstrittenen Frage diesmal gegen die anderen Fraktionen durchsetzen. Als das Anliegen letztes Mal traktandiert war, unterlagen sie knapp (damals hatten sie noch keine Mehrheit im Rat). Der Rat entscheidet - sogar überraschend deutlich - und überweist den Vorstoss mit 74 : 59 Stimmen als verbindliche Motion.