Sollen die Schweizer Bauern auch demonstrieren? - Ja zu Gegenvorschlag zur kantonalen Gewässerinitiative

Sollen die Schweizer Bauern auch demonstrieren? -                 
Ja zu Gegenvorschlag zur kantonalen  Gewässerinitiative
Bauernpräsident Christoph Hagenbuch bei seiner Ansprache. Rechts Vizepräsidentin Colette Basler, links BVA-Geschäftsführer Ralf Bucher. Foto: MKU

237 Stimmberechtigte und zahlreiche Gäste trafen sich am 10. April in Endingen im Surbtal zur 23. Generalversammlung des Bauernverbandes Aargau (BVA). Nach wohltuenden Klängen der Alphorngruppe Zurzibiet unter Leitung des früheren kantonalen Gewerbeverbandspräsidenten Kurt Schmid warf BVA-Präsident Christoph Hagenbuch die Frage in den Raum, die seit den Bauernprotesten in Deutschland nach Subventionsstreichungen viele Bäuerinnen und Bauern auch hier umtreibt.

Hagenbuch: "Sollen wir oder sollen wir nicht? Sollen wir Bauern demonstrieren? Einerseits hätten wir allen Grund dazu. Bei der Betriebsdatenerfassung habe ich mich mehrfach hinterfragt. Was soll das Ganze?"

"Administration ist das einzige, das auch im Winter wächst"

Unzählige Massnahmen auf Parzellenschärfe, oder noch genauer. Jeder geplante Arbeitsschritt sei bald anzumelden. Die Administration sei das einzige, das auch im Winter wächst. Nach wie vor sei das bäuerliche Einkommen zu tief. Und die bäuerliche Arbeit werde nicht wertgeschätzt. Hagenbuch: "Dafür müssten wir auf die Strasse."

Anderseits frage er sich, ob das etwas brächte? Demonstrationen kämen in der Schweiz generell nicht gut an. Demonstrieren sollte man wenn schon nur für ein bestimmtes Ziel, etwa wenn im Parlament ein wichtiger Entscheid ansteht, den man so beeinflussen kann, so Hagenbuch weiter. Das sei in jüngster Zeit nicht der Fall gewesen, "oder es wurde im nationalen Parlament grossmehrheitlich so entschieden, wie wir uns das gewünscht haben".

Ringen um steigende Produzentenpreise

Stattgefundene Sternfahrten und Mahnmärsche seien jedoch sehr positiv gewesen, lobte Hagenbuch. Sie stärkten dem Schweizerischen Bauernverband in den anstehenden Preisdiskussionen den Rücken. Nun brauche es steigende Produzentenpreise. "Ansonsten", so Hagenbuch, "werden nationale Demonstrationen sicher vermehrt in den Fokus rücken".

Im Rückblich freute sich Hagenbuch, dass letztes Jahr zwei bäuerliche Vertreter in den Nationalrat gewählt wurden: Alois Huber (SVP) und Andreas Meier (Die Mitte). Mit Blick auf die kommenden Regierungs- und Grossratswahlen hofft er auf ein "landwirtschaftsfreundlicheres" Parlament. Grosse Freude habe die ALA mit über 50 000 Besuchenden und vielen Schulklassenführungen gebracht. Der Regierung dankte er für die gute Zusammenarbeit.

Alois Huber zur ALA: "Petrus ist ein Aargauer Bauer"

Nationalrat Alois Huber machte seinerseits einen Rückblick auf die ALA, deren OK er präsidiert hat. Man habe gezeigt, dass man im Aargau zusammenarbeiten kann. Huber_ "Das war eine sensationelle Sache. Wir können stolz sein." Man habe aber auch wettermässig Glück gehabt: "Petrus ist ein Aargauer Bauer." Er freue sich jetzt schon auf die ALA 33, schloss Huber.

Im Vorstand kam es zu zwei Ersatzwahlen. Anstelle der zurücktretenden Myrtha Dössegger und Hans-Ulrich Lüscher wurden Andrea Hochuli und Patrick Huber gewählt. Dössegger und Lüscher wurden per Akklamation zu Ehrenmitgliedern ernannt.

Ralf Bucher: für praxistaugliche Massnahmen gegen Ammoniak

Geschäftsführer Ralf Bucher wies darauf hin, dass im Grossen Rat 17 bäuerliche Vertreter/innen Einsitz haben. Er hofft, dass man auch nach den Wahlen so wirken kann. Mehrere Kantone hätten bereits einen Ammoniak-Massnahmenplan. Auch im Aargau arbeite man daran. Die Bauern reduzierten Ammoniak bereits, "aber praxistauglich", mahnte Bucher in Richtung des anwesenden Landwirtschaftsdirektors Markus Dieth. Die Auflagen müssten in einem guten Verhältnis zum Nutzen stehen, verlangte Bucher, "Zwangsmassnahmen" brächten nichts. Man sei aber zuversichtlich, eine gute Lösung zu finden.

Markus Dieth: es kommt einiges auf die Bauern zu

Landammann und Landwirtschaftsdirektor Markus Dieth seinerseits überbrachte die Grüsse der Aargauer Regierung. Er lobte die letztjährige Landwirtschaftsausstellung ALA ebenfalls sehr. Man müsse die Landwirtschaft spüren, so Dieth. Es komme aber einiges auf sie zu. Etwa mit der Biodiversitätsinitiative im September. Die Bauern leisteten in diesem Bereich schon sehr viel, so Dieth. Die Ernährungssicherheit dürfe nicht in den Hintergrund rücken: "Wenn die Landwirtschaft in ihrem Auftrag behindert wird, geht es der Bevölkerung letztlich auch nicht gut."

Gegenvorschlag zur Gewässerinitiative?

Der spannendste Punkt des Abends betraf einen Gegenvorschlag zur kantonalen Gewässerschutzinitiative. Vizepräsidentin Colette Basler wollte an der Generalversammlung von den Mitgliedern wissen, ob auf diesen Gegenvorschlag eingetreten werden soll. Es geht dabei um 330 ha Kulturland innerhalb von 20 Jahren.

Nach langen Verhandlungen ist eine überparteiliche Motion zustande gekommen, als möglicher Gegenvorschlag ausgearbeitet worden, so Basler. Die Umweltverbände hätten schon signalisiert, ihre Initiative zurückzuziehen, wenn man die Motion so durchbringe, Aus Sicht des BVA sei diese Motion ein guter Kompromiss, hiess es in Endingen.

Die folgenden Hauptforderungen wurden laut BVA in der Motion berücksichtigt: 

  • Freiwillige Umsetzung für jeden Betrieb über LABIOLA und kein Zwang via Richtplan
  • 330 ha Feuchtgebiete im Kulturland statt 1000 ha wie in einer Motion von Lukas Pfisterer gefordert.  Die weiteren Flächen sind im Wald (500 ha) und im Siedlungsraum (170 ha) bereitzustellen.
  • Finanzierung über jährlichen Wasserzinsertrag und nicht über Landwirtschaftsbudget

Ein entscheidender Punkt ist, was alles zu den 330 ha gezählt werden kann. Mit dieser Frage hat sich die Kommission Raum, Umwelt und Energie des BVA befasst und schlägt vor, folgende Flächen ganz oder teilweise anzurechnen, die im Rahmen der Umsetzung bestehender gesetzlicher Bestimmungen bereits Vorgaben an ein Feuchtlebensraum erfüllen:

  • Gewässerräume
  • Hochwasserschutzflächen
  • Auenschutz
  • Revitalisierungen und Ausdolungen von Gewässern
  • Trockenwiesen- und Weiden
  • Moore, Amphibienlaichgebiete
  • Nassreisanbauflächen, extensiver Ackerbau

Weitere Feuchtflächen können auch innerhalb bestehender Biodiversitätsförderflächen umgesetzt werden. Somit würden keine Produktionsflächen verloren gehen, die zu mehr Nahrungsmittelimport aus weniger nachhaltigem Anbau führen.

An der Generalversammlung nutzten die Stimmberechtigten die Möglichkeit zur Diskussion zu fortgeschrittener Abendzeit (22 Uhr) nicht. In der Abstimmung zeigte sich nebst einigen Enthaltungen eine grossmehrheitliche Zustimmung. Damit wird der Gegenvorschlag sehr gute Chancen haben.

Mehr als 11'900 Hektaren Biodiversitätsförderflächen

Der BVA will mit diesem Kompromiss aufzeigen, so Colette Basler, dass Bäuerinnen und Bauern gewillt seien, sich auch weiterhin für die Biodiversität zu engagieren. Die Aargauer Bauernfamilien bewirtschaften mehr als 11'900 ha  Biodiversitätsförderflächen, wovon über 9’000 ha die höchsten Qualitätsanforderungen des Bundes erfüllen, Tendenz weiter steigend.

Bei über 20 Prozent oder jeder fünften Hektare Kulturland habe die Natur somit Vorrang. Hinzu kommen über 2’200 Hektaren Naturschutzflächen. Die Biodiversität nimmt im Landwirtschaftsgebiet gemäss Kessler-Index denn auch zu. Des Weiteren kombiniere die Landwirtschaft die Produktion von Nahrungsmitteln und die Biodiversität immer häufiger mit Einsaaten oder Streifen für Kleintiere.